Was soll ein Zuwanderungsgesetz?

Die Forderungen nach einer Neuregelung werden lauter - doch wohin sie führen könnte, ist noch völlig unklar

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
»Humankapital« war Unwort des Jahres 2004. Vielleicht ist das der Vorteil der heutigen gegenüber den damaligen Debatten über ein Zuwanderungsgesetz: der Verzicht auf so ungenierte Verwertungsparolen.

Der DGB ist für ein neues Zuwanderungsgesetz, SPD und Grüne auch, Teile der Union zeigen sich aufgeschlossen, Bundesinnenminister Thomas de Maizière widerspricht mit seiner Aussage, dass Deutschland keinen Bedarf habe an einer Neuregelung, nicht nur CDU-Generalsekretär Peter Tauber, sondern macht auch in der Debatte keine glückliche Figur. Denn immerhin sind mit der Industrie oder dem Handwerk geradezu genetische CDU-Verbündete der Meinung, dass Deutschland ein Zuwanderungsgesetz brauche. So äußerte Georg Schlagbauer, Präsident des bayerischen Handwerkskammertags, am Donnerstag in München, 17 Prozent der Lehrstellen in Oberbayern könnten nicht besetzt werden, es brauche also Zuwanderung. Außerdem, so meinte der Mann, wären klare Einwanderungsregeln »auch ein erster Schritt zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität«.

Dies zeigt ein Problem der Debatte über ein neues Zuwanderungsgesetz. Wirtschaftliche Interessen - und ihnen untergeordnet die demografischen - werden zum alleinigen Kriterium gemacht. Das war auch schon so, als Anfang der 2000er Jahre über ein Zuwanderungsgesetz debattiert wurde. Ein Punktesystem, das präferiert wurde, aber nicht zustande kam, sollte die potenziellen Zuwanderer nach ihrem Wert für die Aufnahmegesellschaft sortierbar machen. Dieser Nützlichkeitsvorbehalt war auch der Haupteinwand, der solchen Ideen begegnete. Das Gesetz, das 2005 schließlich in Kraft trat, ist ein Sammelsurium an Einzelgesetzen über Asylverfahren und Leistungen für Asylbewerber, über Aufenthaltsrecht und Einbürgerung, sogar die Vertriebenen finden sich hier.

2012 kam die BlueCard hinzu, eine EU-Richtlinie, die in deutsches Recht übersetzt wurde. Ein Hochqualifizierter musste zuletzt knapp 50 000 Euro aus seiner erwarteten Beschäftigung in Deutschland nachweisen, um eine befristetes (!) Aufenthaltsrecht zu erhalten. Keine sehr verlockende Aussicht für Leute, nach denen sich die Wirtschaft weltweit die Finger leckt. Die LINKE kritisierte, dass damit ein Billigmarkt an Hochqualifizierten geschaffen werde, im Interesse ganz allein der Wirtschaft. Dabei geht es nur um Arbeitskräfte aus Ländern außerhalb der EU, denn in der Europäischen Union ist die Freizügigkeit längst geregelte Sache.

Eine Vereinfachung der Gesetzeslage spräche für ein neues Zuwanderungsgesetz wie die Abkehr von der Verwertungslogik, der die Migration untergeordnet wird. Eine Bertelsmann-Studie, die am Donnerstag bekannt wurde, zeigt das deutsche Desaster in seiner ganzen Erbärmlichkeit. Nur 15 Prozent aller Ausbildungsbetriebe in Deutschland bilden Jugendliche mit ausländischen Wurzeln aus, und 60 Prozent der Betriebe haben noch nie einem Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine Ausbildung angeboten. Zuwanderer allein als »Humankapital« zu betrachten, war schon 2004 allzu schlecht zu begründen. Der gesetzliche Anspruch kollidierte aber auch mit der Realität. So wie heute.

Gut zahlende Konzerne finden Wege und Möglichkeiten, Mitarbeiter zu beschäftigen, auch wenn sie keinen festen Aufenthaltsstatus haben. Und es gibt Zuwanderer, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, unter ihnen häufig durchaus qualifizierte Fachkräfte. Sie zu ignorieren oder gar andere Fachleute ins Land zu holen und ihre Zahl gegen Flüchtlingskontingente aufzurechnen, lässt sich gesetzlich nicht begründen, schon weil Deutschland nicht unter Berufung auf wirtschaftlichen Erwägungen seine internationalen Verpflichtungen missachten kann. Als Flüchtlinge werden ja nur Menschen anerkannt, für die die Rechtslage keine Abschiebung zulässt. Es geht also um beide Gruppen von Menschen - Flüchtlinge, die zu integrieren Regelungsauftrag für den Gesetzgeber sein müsste, und Arbeitskräfte, die ins Land zu holen erklärte Absicht ist.

Der Verlauf nicht nur der Debatten, die im Zuwanderungsgesetz von 2005 mündeten, legt den Schluss nahe, dass ein fairer Interessenausgleich im Sinne längst nicht aller Befürworter eines neuen Gesetzes ist. Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, brachte ihr Misstrauen mit den Worten zum Ausdruck: »Für eine offene und demokratische Gesellschaft ist etwas anderes erforderlich, als ein Paragrafenwerk mit einem neuen Titel zu versehen, das auf der Basis von Arbeitsmarktkriterien zu sozialer Exklusion führt und rechtspopulistischen Ressentiments gegen alle vermeintlich nicht ›nützlichen‹ Migrantinnen und Migranten neue Nahrung gibt.«

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