Wir wollen mehr Missgeburten!

Das Kunsthaus Acud erinnert an den Underground-New-Wave der BRD der frühen 80er Jahre

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Musik galt in der alten Bundesrepublik der 70er Jahre lange Zeit entweder, was in Papas Plattensammlung war (»Oh du schöner Westerwald«), oder das, was Manfred Sexauer im »Musikladen« oder Ilja Richter in »Disco« versendeten: synchron tanzende Soulsängerinnen in kurzen Goldlamé-Kleidchen, die ihre Lippen synchron zum Playback bewegten, oder unbeholfen und wenig ansehnlich umherstolpernde vollbärtige Mattenträger in karierten Flanellhemden, die ihre E-Gitarren bearbeiteten. Das Internet war noch Lichtjahre entfernt.

Der Punkrock, der in den späten Siebzigern in Städte wie Berlin-West, Hamburg und Düsseldorf und etwas später auch zaghaft in die bundesdeutsche Provinz vordrang, war die Initialzündung für eine Musik von unten, die ganz und gar anders sein wollte als die althergebrachten Angebote der Musikindustrie. Infiziert von der Punk-Idee und das Diktum im Herzen, dass jeder, der ein Instrument in der Hand halten kann, auch ein Künstler sei, entstand eine neue Szene: der heute so genannte bundesdeutsche Kassetten-Underground.

Dabei handelte es sich um Do-it-yourself-Musikproduzenten, zumeist Jugendliche, die sich im elterlichen Hobbykeller austobten, wo sie sich als Autodidakten die Bedienung eines Casios oder Keyboards beibrachten oder neugierig mit Synthesizern herumexperimentierten. Von der nicht selten krachigen und bewusst primitiv gehaltenen Musik, die dabei entstand und zumeist auf Kassettentapes festgehalten wurde, dürfte leider einiges verschollen und nur wenig erhalten geblieben sein. Umso erfreulicher ist, dass nun eine Sammlung solcher Aufnahmen vorliegt.

»Science-Fiction-Park Bundesrepublik - German Home Recording Tape Music of the 1980s« heißt eine soeben erschienene CD-Kompilation, die 25 akustische Absonderlichkeiten aus dieser musikalischen Aufbruchszeit versammelt. Zusammengestellt hat sie der einschlägig vorbelastete Komponist und Hörspielautor Felix Kubin, der im Jünglingsalter selbst der Szene angehörte.

Musikalisch ging es oft darum, die konfektionierten Klänge des kapitalistischen Alltags - von der Fahrstuhlmusik über die Schlagerparade bis zum Dancefloor-Hit - mit entsprechend düster, beschädigt oder atonal klingenden Gegenstücken zu kontern, wobei es keine Rolle spielte, ob das entstandene Musikstück am Ende eher den Charakter eines Spontanhörspiels oder in seinem Klang etwas Kettensägenmassakerhaftes hatte. Hauptsache, es wirkte irgendwie kaputt. Künstlerische Strategien und ökonomische Verwertungsabsichten hatten die Musiker meist nicht. Ein dumpf knallendes, holprig gespieltes Schlagzeug und eine große Vorliebe für das Unfertige, das Störgeräusch und das weiße Rauschen zeugten davon, worum es hier in erster Linie ging: um kreative Krachproduktion gegen das öde Einerlei und die Gleichförmigkeit des bundesrepublikanischen Konsum- und Arbeitsalltags.

Textlich wendete man sich der seinerzeit grassierenden Angst vor Nuklearkrieg, Waldsterben und Weltuntergang zu und schleuderte ihr lachend ein Ja zur Apokalypse entgegen: Soll sie doch verrecken, die Scheißwelt, dann brauchen wir wenigstens nie mehr morgens zur Arbeit zu gehen oder abends »Musik ist Trumpf« mit Peter Frankenfeld im Fernsehen anzusehen.

In dem Stück »Die Bombe« von Das Glück heißt es, während im Background unentwegt jemand die Worte »Bombe fällt« wiederholt: »Krieg? Warum denn nicht?« Zu verstehen ist derlei wohl nur vor dem Hintergrund der damals verbreiteten Atomkriegshysterie und der daraus erwachsenen Kitschhymnen wie »Ein bisschen Frieden«, einem Lied, mit dem die Schlagersängerin Nicole im Jahr 1982 den Grand-Prix-Schlagerwettbewerb gewann.

Gern wurde von den jugendlichen, im Underground - das hieß zumeist: unter kargen Bedingungen im elterlichen Jugendzimmer oder im Hobbyraum - vor sich hinmusizierenden Post-Punk-Freunden auch die perfekte Scheinwelt der allgegenwärtigen Reklame und politischen Schönfärberei geschmäht. Viele Texte gaben sich auch einen neodadaistischen Anstrich oder parodierten bewusst Mythen und Klischees aus der heilen Welt des Schlagers: »Wir wollen mehr Missgeburten / Missgeburten sind schön«, singen etwa die Lustigen Mutanten zu Gedröhne und forschem Schlagzeuggepolter, das an Gang of Four oder PIL erinnert.

Various Artists: »Science-Fiction-Park Bundesrepublik - German Home Recording Tape Music of the 1980s« (Finders Keepers/Zickzack). Record Release Party am 23. Januar: Vortrag & Diskussion, Konzert mit Lustige Mutanten und VHS-Video-Livemitschnitte aus den frühen 80ern. Kunsthaus Acud/Studio, Veteranenstraße 21, 20 Uhr, 8 €

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