Brandbrief gegen Heim für Flüchtlinge

Professor fürchtet um Standort Göttingen

  • Reimar Paul, Göttingen
  • Lesedauer: 3 Min.

Die niedersächsische Stadt Göttingen will in dem in den vergangenen Jahren neu erschlossenen Wohn - und Wissenschaftsquartier »Zietenterrassen« eine Unterkunft für bis zu 180 Flüchtlinge errichten. Das Vorhaben ist heftig umstritten. Während eine Bürgerinitiative den Bau nach Möglichkeit verhindern will, bekunden viele andere Menschen sowie Kindergärten, Schulen und Sportvereine Unterstützung für die Pläne.

Der Informatik-Professor Harald Richter, der an der Technischen Universität (TU) Clausthal über »Echtzeitnetze im Automobil« forscht, ist ganz klar gegen den Bau des Wohnheims. In einem Schreiben auf dienstlichem Papier an die Mitglieder des Göttinger Sozialausschusses machte sich der »Prof. Dr.-Ing. Dr. rer. nat. habil.« dieser Tage Luft. Sollten Asylsuchende in größerer Zahl in dem Stadtteil einquartiert werden, sei es aus mit Wissenschaft und Forschung. Mit einem Flüchtlingswohnheim in unmittelbarer Nachbarschaft werde der in Aussicht gestellte Aufbau eines eigenen Fraunhofer-Instituts »wirtschaftlich nicht mehr darstellbar sein«, heißt es in dem Schreiben. Kein Industriepartner werde »angesichts von in Gruppen herumstehenden Afrikanern, die nicht arbeiten dürfen, sowie verschleierten Frauen mit zahlreichen Kindern glauben, dass an diesem Standort Hochtechnologie gemacht wird«.

Gegenüber Medien legte Richter noch nach. »Hightech wächst nicht an Flüchtlingsheimen«, sagte er. Die dort schon ansässigen Firmen könnten ihren Kunden nicht glaubwürdig vermitteln, »dass die Zietenterrassen ein Hightech-Standort sind«. Die Entwicklung des Quartiers werde torpediert. Ein Asyl- und Flüchtlingswohnheim in unmittelbarer Nachbarschaft beende die Expansion der Wissenschaft und der Hochtechnologie und schade den bereits ansässigen Einrichtungen.

Der Brandbrief des Wissenschaftlers stößt weithin auf scharfe Kritik. Die durch nichts zu belegende Behauptung des Wissenschaftlers, eine Flüchtlingsunterkunft stoppe die Entwicklung von Wissenschaft und Hochtechnologie, »dient nur dem Zweck, Ängste und rassistische Ressentiments bei der Bevölkerung vor Ort zu schüren«, erklärte etwa der Göttinger Integrationsrat.

Die Göttinger SPD-Landtagsabgeordnete Gabriele Andretta bat die rot-grüne Landesregierung in einer parlamentarischen Anfrage um Stellungnahme. Sie will unter anderem wissen, ob Flüchtlinge in der Nähe von Hochschulen und Forschungseinrichtungen potenzielle Investoren und Forschungsgesellschaften abschrecken. Auch wissenschaftliche Einrichtungen gehen auf Distanz zu Richter. Ein Sprecher der TU Clausthal wies daraufhin, dass es sich bei dem Brief um Richters private Meinung handele, die nicht die Ansicht der Universität widerspiegele. Diese sei vielmehr stolz darauf, international zu sein.

Die auf den »Zietenterrassen« angesiedelte Hochschule für Wissenschaft und Kunst (HAWK) betont, Richters Aussagen würden keinesfalls geteilt. Im Gegenteil: Die Hochschule werde den Flüchtlingen helfen, wo und wann immer dies möglich sei. Die Erweiterungspläne der HAWK würden durch ein Flüchtlingsheim jedenfalls nicht gefährdet. »Ich finde es unglaublich und geradezu ekelhaft, welche Positionen Herr Richter vertritt, und dann auch noch so tut, als spräche er im Namen von Unternehmen auf den Zietenterrassen und der Fachhochschule«, sagte Hans-Juergen Kahlert, Geschäftsführer der Firma Innovavent, die in dem Stadtteil Laser-Optik-Systeme entwickelt.

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