Schwarze Fahnen in Afghanistan

Es scheint, als breite sich der IS am Hindukusch aus - die Bundeswehr versucht, auf alles vorbereitet zu sein

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Kämpfer des Islamischen Staates (IS) sammeln sich jetzt auch in Afghanistan, heißt es. Panikmache oder Realität? Die Bundeswehr steckt mal wieder mittendrin in dem womöglich tödlichen Problem.

Am Dienstagmorgen legte das dänische Transportschiff »Britannia Seaways« in Emden an. An Bord waren über 200 Bundeswehrfahrzeuge, die aus dem ISAF-Einsatz heimkehrten. Mit dem Transport endete die Rückverlegung des deutschen Materials aus dem afghanischen Kriegsgebiet. Es hatte ein Jahrzehnt gedauert, bis die deutsche Regierung den Krieg auch Krieg nannte. Der, so hieß es, könne erst dann enden, wenn gesichert sei, dass Afghanistan nicht wieder zum Planungs- und Rückzugsgebiet für Terroristen wird. Denn das würde, so die Kanzlerin, auch die Sicherheit Deutschlands gefährden.

Nach den Anschlägen in den USA im September 2001 galt Osama bin Laden als Inbegriff des Bösen, der am Hindukusch eine Al-Qaida-Dependance betrieben hatte. Ende letzten Jahres übergab ISAF die Verantwortung für Afghanistans Sicherheit an die 350 000 Angehörigen der afghanischen Streit- und Polizeikräfte. Die sollen in der Folgemission »Resolute Support« weiter ausgebildet und beraten werden. Doch es mehren sich die Zweifel an deren Fähigkeiten. Dazu tragen auch Berichte über schwarzgekleidete Männer unter schwarzen Fahnen bei.

Mohammad Omar Safi ist Gouverneur der nordafghanischen Provinz Kundus. In den Regionen um Dasht-i-Archi und Char Darrah - die Namen sind vielen Bundeswehrangehörigen zum Teil in schrecklicher Erinnerung - sammelten sich derzeit Kämpfer von IS-Terrormilizen, warnt der Provinzfürst. Auch in der südlichen Provinz Helmand trieben sie sich herum, heißt es. Im westlichen Farah und im Osten hat man bewaffnete Männer gesehen, die nicht die Sprache der Taliban sprechen und finanziell unabhängig sind. Generalleutnant Murad Ali Murad, Befehlshaber des afghanischen Heeres, räumte vor Kurzem die Existenz von IS-Kämpfern ein.

Ismail Khan, ein ehemaliger Warlord, der zuletzt Minister für Energie und Wasser war, sprach vor der Presse Mitte Januar von einem heraufziehenden Frontenkrieg. »Fremde Männer rekrutieren im Distrikt Khake Safed - das Gebiet liegt 150 Kilometer von der Großstadt Herat entfernt an der Grenze zum Iran - Milizen und trainieren sie.« Abdullah Abdullah, der zweite starke Mann in Afghanistan, mahnte jüngst gemeinsam mit dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif: »Das Problem IS erfordert eine bessere und ernsthaftere Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.«

Noch vor gut einem halben Jahr hatte sich die NATO in Brüssel bedeckt gehalten und mögliche IS-Aktivitäten in Afghanistan mit der Bemerkung »kein Thema« abgetan. Jetzt scheint der Chef der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, US-General John Campbell, alarmiert. Auch der britische Außenminister Philip Hammond sowie Verteidigungskollege Michael Fallon haben Hinweise auf eine Verbindung zwischen IS-Milizen und extremen Elementen der Taliban. Das erinnert fatal an die teuflische Allianz, die es einst zwischen Taliban-Chef Mullah Mohammed Omar und Al-Qaida-Fürst Osama bin Laden gab.

Hat das Gift aus Syrien und Irak also schleichend Afghanistan erreicht? Noch gibt es zu wenige Informationen, warnen einige Beobachter. Es könne schließlich sein, dass man in Kabul übertreibe, um über 2016 hinaus NATO-Truppen im Land zu behalten. Womöglich bestehe bei der Kabuler Regierung die - berechtigte - Sorge, dass Afghanistan in der Bedeutungsskala westlicher Staaten nach hinten rutscht. Schließlich richtet sich bereits jetzt deren Aufmerksamkeit auf Irak und Syrien. Mali und Nigeria stehen im Blickpunkt, Osteuropa ohnehin.

Derzeit sind rund 12 000 ausländische Soldaten in Afghanistan. Neben den NATO-Staaten beteiligen sich Militärs aus 14 weiteren Nationen an der Operation »Resolute Support«. Die Bundeswehr darf laut Parlamentsbeschluss 850 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan halten. Schon die Zusammensetzung des Kontingents zeigt, dass man versucht, auf alles vorbereitet zu sein. Lediglich 70 Soldaten bilden Afghanen aus und beraten die Kollegen. Zusätzlich hält man die Heron-Drohnenaufklärer mit ihrer Technik im Land. Dazu die elektronische Aufklärung. Man hat CH53-Hubschrauber stationiert, die bei einer denkbaren Evakuierung ebenso Bedeutung erlangen können wie der Luftumschlagplatz im usbekischen Termez. Ein Gutteil der Truppe kümmert sich um den Schutz des Stützpunktes in Masar-i-Scharif.

Für den Fall, dass sich die Lage dramatisch verändert, werden in Deutschland »Kräfte mit einem breiten Fähigkeitsspektrum« bereitgehalten. Der entsprechende Mandatsantrag liegt vermutlich bereits in der Schublade der Verteidigungsministerin, denn: Ohne Zustimmung durch den Bundestag können die Verstärkungs- oder Rettungskräfte nicht an den Hindukusch verlegt werden.

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