Geiselnahme - zweiter Teil

Schleswig-Holsteins Opposition will den Rücktritt der Justizministerin, doch es geht um mehr

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
In Kiel schießt sich die Opposition auf die Vertreterin der kleinsten Koalitionspartei ein, die Justizministerin vom SSW. Doch ohne diesen hätte die SPD-geführte Regierung keine Mehrheit.

In der schleswig-holsteinischen Landespolitik fliegen seit Wochen die Fetzen, ausgelöst durch eine vereitelte Geiselnahme am 24. Dezember im Lübecker Gefängnis. Bewertung und Umgang mit dem Vorgang sind dabei Streitpunkt. Inzwischen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft. Politische Zielscheibe ist die Justizministerin Anke Spoorendonk vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW).

Die Opposition fordert Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) seit Wochen auf, Spoorendonk, die auch Ministerin für Kultur und Europaangelegenheiten ist, die Verantwortlichkeit für das Justizressort zu entziehen. Der Regierungschef musste am Mittwochnachmittag im Innen- und Rechtsausschuss des Landtages Rede und Antwort zu der Geisel-Affäre stehen, zu der er bis dato kein Wort gesagt hatte. Er verteidigte dabei Spoorendonks bisheriges Vorgehen und betonte, das Thema sei bei der Fachministerin gut aufgehoben. Heiligabend wurde ein Vollzugsbediensteter nach Vortäuschung eines epileptischen Anfalls in eine Zelle gelockt und dann von vier Gefangenen mit einem Messer bedroht. Erst außerhalb der Zelle gelang es hinzugezogenen Kräften, Geiselnahme zu beenden. Sporendonk hatte in der Vorwoche die bisherige JVA-Leiterin, Agnete Mauruschat, von ihrem Posten entbunden und in den ministeriellen Innendienst berufen. Zugleich wurde ein Disziplinarverfahren gegen Mauruschat, die sich zwischenzeitlich krank gemeldet hatte, eingeleitet.

Seit dieser Woche hat auch die Staatsanwaltschaft in Lübeck mitgeteilt, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen sie eröffnet habe. Dabei geht es um die Frage der Strafvereitelung, weil Mauruschat nach dem Vorfall Heiligabend nicht sofort die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet hatte. Spurenermittler nahmen daher erst am 29. Dezember den Tatort in Augenschein. Es existiert jedoch ein Alarmplan der JVA Lübeck, der eine sofortige Verständigung der Polizei vorsieht. Trotz Vertraulichkeit des Papiers hatte die CDU es öffentlich gemacht. Spoorendonk, die keine Juristin ist, hatte sich zunächst darauf berufen, dass es landesweit keine verbindliche Verordnung über das Vorgehen in solchen Fällen gegeben habe. Das war anfangs auch ihr Argument - Alarmplan hin oder her -, sich schützend vor Mauruschat zu stellen. Als die SSW-Ministerin allerdings erfuhr, dass Mauruschat genau zu diesem Thema bereits vor der Geiselnahme am 24. Dezember Gespräche über genaue Handlungsanweisungen mit der Staatsanwaltschaft geführt hatte, entband sie die JVA-Leiterin bis zur endgültigen Klärung von ihren Aufgaben. Die Opposition aus CDU, FDP und Piraten sieht in Mauruschat nur ein Bauernopfer. Sie stört sich auch an der Darstellung aus den Regierungsparteien SPD, Grüne und SSW, dass die Geiselnahme nach wenigen Minuten beendet gewesen und es ja durch besonnenes Handeln in der JVA nicht zum beabsichtigten Ausbruch gekommen sei. Sprechen die Koalitionsparteien von einer Skandalisierung durch die Opposition, wirft diese den Koalitionären Verharmlosung vor, immerhin seien beteiligte Vollzugsbeschäftigte über Wochen dienstunfähig gewesen.

Vollzugsbeamte und ihre Gewerkschaft hatten bereits gleich nach dem Vorfall von diversen Missständen und Sicherheitsmängeln in der JVA Lübeck berichtet und die Verantwortung dafür vor allem Mauruschat angekreidet. Die Opposition lässt sich jetzt alle relevanten Akten aus dem Ministerium vorlegen. Sie lässt nicht locker, weiß sie doch, dass erst der SSW als Koalitionspartei der SPD und den Grünen die Macht in Kiel sichert - daher auch die Forderung nach Spoorendonks Abberufung.

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