Mangel im Überfluss

Gespräch mit Tilman Grune, Stiftungsvorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)

  • Lesedauer: 5 Min.

Unter welchen Aspekten wird die Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung untersucht?

Wir untersuchen, wie sich unser Essen und die Nährstoffe, die wir täglich zu uns nehmen, auf den Körper auswirken und wie durch eine bestimmte Ernährungsweise möglicherweise bestimmte Krankheiten entstehen oder begünstigt werden können.

Tilman Grune

Seit Juni 2014 leitet Tilman Grune das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). Seine akademische Laufbahn führte ihn nach dem Studium in Moskau über die Humboldt-Universität Berlin und die Uni Jena nach Brandenburg. Richard Rabensaat sprach mit dem Biochemiker über wechselnde Lehrmeinungen über Ernährung und Gesundheit sowie den Einfluss von Optik und Geschmack auf die Auswahl von Nahrungsmitteln. Foto: dpa/Norbert Försterling

Der Zusammenhang zwischen Nahrungsaufnahme und welchen Krankheiten wird am DIfE untersucht?

Wir erforschen etwas, das wir insgesamt als metabolisches Syndrom bezeichnen. Dazu gehören Fettsucht, Insulinresistenz - also die Vorstufe zum Typ-2-Diabetes -, Bluthochdruck und ein gestörter Fettstoffwechsel. In der Umschreibung ist es also der Übergewichtige mit hohem Blutdruck, vielleicht mit einem Diabetes und Fettstoffwechselstörungen. Diese Menschen sind stark herzinfarktgefährdet. Diabetes kann zu Nierenversagen oder zu Erblindungen und vielem anderen führen.

Wie kann der einzelne Ernährungsgewohnheiten beeinflussen?

Es ist nicht so einfach, wie man früher gedacht hat, nicht FDH, also »friss die Hälfte«, sondern viel komplexer. Die meisten Menschen sind nicht so strukturiert, dass sie über einen längeren Zeitraum weniger essen und dann ständig Hunger haben können. Diäten sind in der Regel auch keine Lösung, weil sie häufig nicht lange durchgehalten werden, zu Unzufriedenheit führen und Mangelerscheinungen zur Folge haben können. Die Frage ist also, wie komme ich zu einer gesunden, ausgewogenen Ernährung, durch die ich das metabolische Syndrom vermeide.

Können auch bei einer an sich ausgewogenen Ernährung gesundheitliche Probleme auftreten?

Hauptproblem unserer Ernährung ist, dass wir zu viel Energie aufnehmen. Zusätzlich kann man trotz hoher Energieaufnahme auch an einem Mangel leiden, zum Beispiel an einem Eisenmangel oder einem versteckten Vitamin-D-Mangel. Das kann den Knochenbau beeinträchtigen. Aber das Problem liegt eher darin, dass man in der heutigen modernen Gesellschaft einer Vielzahl von Stimuli ausgesetzt ist, die die Ernährung beeinflussen.

Wie beeinflussen die Stimuli unsere Essgewohnheiten?

Das geht von Werbung über das Arrangement von Lebensmitteln im Supermarkt bis hin zum allgemein vorhandenen Überangebot von Nahrungsmitteln. In der Geschichte der Menschheit gab es eigentlich nie Phasen, in denen Energie grundsätzlich ausreichend vorhanden gewesen ist. Die Entwicklung des Menschen ist immer dahin gegangen, Nahrungsmittel zu präferieren, die energiereich sind, und hieraus das Maximum an Energie zu ziehen. Durch den modernen Handel sind alle Nahrungsmittel aus der ganzen Welt praktisch zu allen Jahreszeiten immer verfügbar. Das verändert die Ernährungsgewohnheiten. Dafür verschwinden bestimmte klassische Nahrungsmittel.

Welche?

Beispielsweise Sauerkraut und Schwarzwurzeln. Aber manche Klassiker kommen jetzt gerade wieder - zum Beispiel Teltower Rübchen. Das ist eigentlich ein klassisches Brandenburger Nahrungsmittel und jetzt entdeckt es die Sterneküche.

Wonach wählt der Mensch bestimmte Lebensmittel aus?

Alleine die Empfehlung reicht nicht, Nahrung muss attraktiv aussehen und gut schmecken. Als erstes gehen am Buffet Fleisch und Kuchen weg, Salate bleiben bis zum Schluss liegen. Wir untersuchen daher die Akzeptanz von Lebensmitteln und wie bestimmte visuelle-, Geschmacks- und Geruchsreize Rezeptoren im Gehirn ansprechen. Wir wollen wissen, wie das Gehirn Nahrungsreize verarbeitet.

Wie erforschen Sie das?

Wir zeigen beispielsweise ein Foto von einem Lebensmittel und untersuchen mit dem EEG, welche Teile des Gehirns reagieren. Wir fragen uns, warum die Menschen auf Nahrung sehr unterschiedlich reagieren. Die Wirkung von Geschmacksreizen ist auf molekularer Ebene noch völlig unzureichend untersucht. Es geht um die neuropsychologische Verarbeitung.

Machen Sie auch Laborversuche?

Wir arbeiten hier beispielsweise mit Zellkulturen und fragen, was passiert, wenn ich auf eine Leberzelle Fett gebe. Bei der Untersuchung darüber, wie die Leberzelle das Fett abspeichert, gehen wir runter bis auf das molekulare Niveau und untersuchen die Aktivitäten von bestimmten Enzymen und dergleichen. Dann gibt es Fütterungsversuche an Mäusen. Wir haben aber auch Beobachtungs- und Ernährungsstudien, an denen Menschen teilnehmen. Da gibt es natürlich ethische Grenzen, man kann schließlich niemand auf eine ungesunde Diät setzen.

Wie erforschen Sie den Menschen?

Seit Mitte der 90er Jahre untersuchen wir in regelmäßigen Abständen von ungefähr fünf Jahren eine Gruppe von ca. 27 000 Personen zu ihrer Ernährung und Lebensweise. In dem europäischen Verbundprojekt EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), an dem europaweit mehr als eine halbe Million Menschen beteiligt sind, untersuchen wir die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Lebensstil und dem Entstehen chronischer Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und natürlich auch Krebs. Zudem messen wir die biologischen Parameter.

Gibt es Ergebnisse?

Zahlreiche. Wir haben beispielsweise herausgefunden, dass ein hoher Obst- und Gemüsekonsum zwar mit einem verminderten Risiko für Krebserkrankungen verbunden ist, dieser Zusammenhang jedoch nicht so stark ausgeprägt ist wie ursprünglich angenommen. Wir können zudem zeigen, dass Menschen, die viele Ballaststoffe aus Getreideprodukten aufnehmen, ein vermindertes Typ-2-Diabetes-Risiko besitzen.

Gibt es generelle Regeln für die Ernährung?

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und andere Institute weltweit haben die Ernährungspyramide entworfen. Damit wird gestaffelt dargestellt, welche Nahrungsmittel häufig und welche weniger häufig gegessen werden sollten. Grundnährstoffe finden sich in Getreide und Vollkornprodukten, Süßes, fettes Fleisch und Wurstwaren sollten weniger gegessen werden. Es gibt auch Grundregeln wie: Fleisch nur zwei Mal die Woche.

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