Nur tote Kunst ist gute Kunst

Der globale Kunstmarkt arbeitet mit denselben Parametern wie andere Wirtschaftsbereiche. Die Folge ist die Kapitalisierung, Privatisierung und Globalisierung der Kunst. Von Georg Seeßlen

  • Lesedauer: 7 Min.

Mit der bürgerlichen Gesellschaft kommt auch eine besondere politische Ökonomie der Kunst zu ihrem Ende. Unglücklicherweise wurde dieses Ende nie erklärt, und auch ein Versuch, eine neue politische Ökonomie der Kunst zu begründen, wurde kaum unternommen. Stattdessen wurde, wie in anderen Lebensbereichen, sozusagen blind auf den Markt vertraut. So findet der nächste Wandel der Kunstgeschichte statt: Vom Melodrama zur Farce.

Von der Ökonomie und der Ökonomisierung ist die Kapitalisierung der Kunst zu unterscheiden. Wenn wir sagen, dass die Ökonomisierung der Kunst als Kehrseite eine Tendenz der Entprofessionalisierung hat (die aktuelle Version davon ist wohl die »Prekarisierung« so vieler Künstler-Biographien), dann können wir ebenso gut sagen, dass die Kapitalisierung der Kunst als Kehrseite eine Tendenz zur Ent-Ökonomisierung hat. Man nennt das gern eine »Entfesselung« des Marktes, aber in Wahrheit besteht die Entwicklung darin, dass der Preis eines Kunstwerkes keine gemeinsam gefundene Information mehr darstellt, sondern eine spekulative Setzung. Der Preis eines Werkes sagt für die Gesellschaft nichts mehr über dessen Wert aus. Nicht der Markt an sich ist das eigentliche Böse in dieser Kunst-Erzählung, sondern jene, die dafür sorgen, dass er nicht vernünftig, fair, transparent und progressiv funktioniert.

Kapitalisierung der Kunst bedeutet nur im dramatischsten und spektakulärsten Fall, dass ein Kunstwerk zum schieren Spekulationsobjekt wird, mit dem man Profit erzielen, Steuern sparen, Märkte und Preise manipulieren oder Akkumulation betreiben kann. Im allgemeinen bedeutet Kapitalisierung der Kunst die Übernahme von Markt, Betrieb und Produktion durch Instrumente, Institutionen und Mechaniken der Finanzindustrie. Eine Verflechtung von Finanzmarkt und Kunstmarkt entstand in den letzten Jahren, deren Ausmaß konsequent vom Mainstream des Betriebs verschleiert wird (ebenso wie das Maß objektiver Verschuldung, die für die Gesellschaft damit einhergeht): Jede Krise, im großen wie im kleinen, im Marktsegment der Millionen-Deals wie in Zwei-Personen-Galerien, soll durch mehr Kapital und durch mehr Management überwunden werden. Freilich: Wer sich so rettet, der tut es stets auf Kosten anderer.

Jene politische Ökonomie, die über einen angemessenen Preis als einen der Kommunikationspunkte zwischen Gesellschaft und Kunst - aber eben nicht als einzigen, nicht als vorrangigen! - verhandelt, wird ersetzt durch eine virtuelle Wertzuschreibung, die dem gesellschaftlichen Diskurs vollkommen enthoben ist. Der Preis entfernt sich von der Wert-Diskussion und hat somit keine Deckung mehr, weder durch das Material, noch durch die Arbeit, noch durch den Diskurs. Übrigens wundert es uns ganz und gar nicht, dass eben jene Kräfte nach der feindlichen Übernahme des Kunstmarktes streben, die für die so genannte Finanzkrise verantwortlich waren. Diese Bewegung entspricht einerseits einer Flucht des Kapitals, andererseits der paradoxerweise durch die Krise noch gestiegenen Macht ihrer Verursacher. Sie besetzen und verwandeln einen (scheinbaren) Neben-Markt, um eine tatsächliche Hegemonie zu erlangen, die über das eigentliche Kunst-Geschehen weit hinausgeht.

Wenn eine Skulptur von Alberto Giacometti für fünfzig oder hundert Millionen Dollar verkauft wird, sagt das nichts über den Wert aus, den sie für die Gesellschaft hat (nicht, dass man deswegen eine Giacometti-Statue so hassen müsste, wie man einige offensichtliche Erscheinungen dessen, was Andy Warhol einst »Business Art« genannt hat, hassen mag), sondern nur darüber, dass jemand hundert Millionen Dollar gut angelegt sieht, weil er sich des Marktgeschehens sicher sein kann, denn er hat es selber geschaffen. Ökonomie als eine der mehr oder weniger rationalen Verständigungsgrundlagen in einer Gesellschaft wird durch Kapitalisierung aufgehoben. Der Kunstmarkt entspricht nicht mehr den Bedingungen der so genannten Realwirtschaft, sondern denen der Finanzwirtschaft.

Dazu kommen zwei weitere Paradigmen, die das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft entscheidend geprägt haben. Das eine ist die Privatisierung. Im allgemeinen verstehen wir darunter, dass ursprünglich staatliche und gesellschaftliche Aufgaben und Monopole in die Hände wirtschaftlicher Unternehmen gegeben werden. Was die Kunst anbelangt, bei der es immer noch ein bisschen kultivierter zugehen soll als, sagen wir, auf dem Markt für Immobilien, medizinische Versorgung oder Wachpersonal in Gefängnissen und Heimen für Asylsuchende, ist das ein uns schon fast selbstverständlich gewordener Vorgang: Da, wo Staat und Gesellschaft nicht mehr können oder wollen, müssen zur Unterstützung von Kunst und Kunstvermittlung private Sponsoren einspringen. Für uns ist es schon selbstverständlich geworden, dass wir eine Kunstausstellung nur durch einen ikonografischen Dschungel von Markenzeichen und Selbsterhöhungen von Konzern-Signets betreten können. Wenn es der Kunst dient, scheint irgendwie alles okay (deftige Geschmacklosigkeit inbegriffen), und erst wenn sich die Sponsoren so richtig auffällig ungeschickt bei der Durchsetzung ihrer Interessen zeigen, kommen wir ein bisschen ins Diskurs-Stolpern. Eine Bank vernichtet ein Kunstwerk, das ihr zu kritisch scheint; ein Konzern lässt ein mühselig aufgebautes Kunst-Areal zusammenstürzen, weil man in der Konzernspitze angeblich die Philosophie geändert habe; ein Kunstwerk, das als Reaktion auf einen Raum installiert wurde, wird, weil es dann mehr Geld bringt, in seine Einzelteile zerlegt und verkauft; ein Maler, der sich weigert, einen Käufer zu bedienen, der seine Bilder als Spekulationsobjekt ins Freihafen-Depot steckt, wird von diesem nicht nur auf den ausgehandelten Kaufpreis, sondern auch auf den zu erwartenden Profit der Wertsteigerung verklagt; es wird Mode, einander statt mit Geldsummen mit Kunstwerken zu bestechen usw. Auch Künstler im (ökonomisch!) höheren Rang, die sich lange Zeit von den Reichen hofiert fühlen dürfen, bekommen den Machtwechsel zu spüren. Das Geld will die Kunst nicht nur anschaffen, das Geld will die Kunst gleich selber schaffen. Von der Business Art geht der Weg zur Money Art, und von hier zum Art Money.

Aber Privatisierung bedeutet, im Zusammenhang mit der Kapitalisierung, noch viel mehr: Es bedeutet, dass Marktzugang, Entfaltung, Regelung in immer weniger hegemonialen Instanzen liegt. Die Ökonomie, die die Kapitalisierung zersetzt hat, zum Beispiel indem sie den Profit von Lohn und Preis entkoppelt hat, wird in der Privatisierung als ebenso spektakuläre wie reduzierte Simulation neu erfunden. Der Markt selber, dem die Privatisierung neue Energien zuführen soll, wird nicht nur entstaatlicht, sondern auch entgesellschaftlicht.

Und dabei wird er zu einer meta-staatlichen und meta-gesellschaftlichen Übermacht, nicht mehr das Feld der Ökonomie, sondern Instrument gegen sie. Dies zeigt sich in der Globalisierung schließlich als einigermaßen rücksichtslosem Wechselspiel der Märkte untereinander und gegeneinander. Der globale Kunstmarkt zum Beispiel arbeitet mit denselben Parametern wie andere Wirtschaftsbereiche: Wo sind billige Arbeitskräfte und billige Ressourcen? Welche Staaten bieten die besten Anreize durch Steuer und Zoll? Wo bilden sich neue zahlungskräftige Oligarchien? Wo muss Geld gewaschen oder sonstwie in Sicherheit gebracht werden? Wo kann ich ein funktionstüchtiges Betriebssystem des Kunstdiskurses nutzen? Der Kunstbetrieb ist nicht nur Wanderzirkus, sondern auch Heuschreckenschwarm. Man kann, ganz direkt, mit Kunst urbane Räume vernichten. Man kann aber genauso gut sich wandelnde Gesellschaften einer Kunst berauben, die Kultur und Reflexion des eigenen Lebens bedeuten könnte, um sie massiv auf den Weltmarkt der Bilder zu stoßen.

Die politische Ökonomie der Kunst ist also kapitalisiert, bis zu einem Punkt, an dem Kunst möglicherweise so etwas wie ein Ersatzgeld der Superreichen werden kann, das sich durch unsere »Peanuts« bilden muss. Sie ist privatisiert bis zu einem Punkt, an dem wenige hegemoniale Kräfte nicht mehr nur die Preise und den Marktzugang, sondern sogar Definitionen der Kunst unter sich ausmachen können. Und sie ist globalisiert bis zu einem Grad, da Kunst auch wieder als Waffe in den Wirtschaftskriegen eingesetzt wird, die verschiedene Formen von Kapitalmärkten gegeneinander führen. Alle diese Prozesse - Kapitalisierung, Privatisierung und Globalisierung - betreffen nicht nur den kleinen Höchstpreis-Bereich der Superauktionen für Superreiche, sondern haben in den letzten Jahren durch verschiedene Instrumente der Politik und der Ökonomie, durch Bankkreisläufe noch die letzten Garagenbezirke und die im Augenblick besonders gehypte »Außenseiter-Kunst« erreicht. Die Kapitalisierung sucht sich auch in der »inneren Wildnis« der Kunst immer neue Areale zur ökonomischen Landnahme. Die Kunst verwandelt sich dabei von der Beute zum Instrument.

Der »kapitalistische Realismus« in der Kunst gibt sich nicht anders als andere Entwicklungen der Ökonomie »alternativlos«. Und es ist nur zu verständlich, dass in einer postheroischen Gesellschaft nicht ausgerechnet die Künstlerinnen und Künstler den vakanten Posten der Helden und Märtyrer übernehmen wollen. Aber die Kunst kann sich wehren, und es gibt viele Künstlerinnen und Künstler, die es tun. Denn kapitalisierte Kunst ist tote Kunst. Und tot ist auch jene Kunst, um die es sich nicht zu kämpfen lohnt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal