Juden in Britannien fürchten sich

Klima vor allem durch Nahostkonflikt verschlechtert

  • Meike Stolp, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Eigentlich gehört Großbritannien zu einem der Länder, in dem Juden als seit Jahrhunderten in das gesellschaftliche Leben integriert gelten. Doch viele fühlen sich immer unwohler.

In der Synagoge habe man ihnen gesagt, dass sie den Davidstern nicht mehr tragen sollen, erzählt eine junge Jüdin. Während sie das sagt, hält sie das Symbol des jüdischen Glaubens, das an einer Kette um ihren Hals hängt, in der Hand und lässt ihn dann unter ihrem Pullover verschwinden. Nein, sagt die 29-Jährige, Angst habe sie keine, aber unwohl fühle sie sich inzwischen.

Großbritanniens rund 291 000 Juden fühlen sich zunehmend unsicher in ihrem Heimatland. Laut der Stiftung Community Security Trust, die Angriffe auf jüdische Gemeinden dokumentiert, hat sich die Anzahl antisemitischer Übergriffe verdoppelt. 1168 sollen es 2014 gewesen sein. Das ist die höchste Zahl seit Beginn der Erhebungen 1984. 2013 waren es laut der Organisation nur 535. Die meisten Angriffe waren Beleidigungen in der Öffentlichkeit. Aber es habe auch 81 Fälle von Körperverletzung gegeben, zudem Sachbeschädigungen, Schmierereien an Synagogen und Drohungen in Briefen oder Mails.

Dabei gehört Großbritannien eigentlich zu den Ländern, in denen Juden, Christen und auch Muslime seit langer Zeit in relativer Eintracht miteinander leben. Mit Benjamin Disraeli regierte zwischen 1874 und 1880 sogar ein Premierminister mit jüdischen Wurzeln. In Londoner Vierteln wie Golders Green bekommt man koschere Lebensmittel im Laden neben dem muslimischen Gemüsehändler. Kippas sind keine Seltenheit und ultraorthodoxe Juden gehören hier zum Straßenbild wie Saris oder Frauen mit Gesichtsverschleierung in anderen Stadtteilen.

Laut der Studie ist das friedliche Zusammenleben jedoch vor allem seit der Verschärfung des Nahostkonflikts in Gefahr. Von den 314 allein im Juli vergangenen Jahres verzeichneten Attacken ist bei der Hälfte als Begründung auf die Ereignisse in Gaza verwiesen worden. Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin »Charlie Hebdo« und den Attacken auf Juden in Frankreich wächst die Angst weiter. »Ein Angriff auf unsere Gemeinschaft ist unvermeidlich«, erklärt beispielsweise Israel Morgenstern aus Golders Green der BBC. Der 37-jährige Vater von drei Kindern, der eigentlich aus Israel stammt, habe deshalb jeden Morgen Angst, wenn er seinen Nachwuchs zur Schule verabschiede. »Ich mag dieses Land«, sagt er. »Wir wollen nur in Ruhe leben, aber das können wir gerade nicht.« Laut »Daily Telegraph« soll es Eltern geben, die am liebsten muslimische Putzfrauen aus den Schulen fernhalten wollen - aus Furcht vor Anschlägen.

Allerdings relativiert die Londoner Polizei die Befürchtungen. So sei die Zahl der antisemitischen Angriffe nach »Charlie Hebdo« in der britischen Hauptstadt nicht gestiegen. Am Tag vor den Anschlägen gab es zehn Übergriffe, am Tag danach waren es neun. Das ist zwar nicht repräsentativ, aber mit Blick auf Frankreich ein Indikator dafür, dass der Antisemitismus auf der Insel noch nicht auf einem vergleichbaren Niveau ist.

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