Im Klub der weisen Leute

Magdeburger Professoren em. haben ein Netzwerk gegründet, das sich einmischen will

  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der akademischen Karriere ist man bei Rotary oder Lions aktiv oder hütet die Enkel. Warum gründen Sie in Magdeburg dieses Professoren-Kollegium namens emerito?

Weil in Zeiten, in denen über fehlende qualifizierte Arbeitskräfte gebarmt wird, Professoren mit 65 gehen müssen. In den USA wäre das ein Fall von Altersdiskriminierung! Wir haben ja nicht nur einen Beruf, sondern fühlen uns auf unserem Fachgebiet berufen. Es wäre doch schade um die geistigen Ressourcen emeritierter Wissenschaftler. Die wollen wir der Welt zugänglich machen.

Was Professoren in Lehre und Forschung ja schon immer taten.

Klar, aber neben der fachlichen Kompetenz kommt etwas dazu, was der Nachwuchs ganz einfach noch nicht haben kann: die Weisheit des Alters. Finanziell sind wir versorgt. Und es fällt was weg: der umzingelnde Alltag, wir haben Abstand, müssen keine Verteilungskämpfe mehr ausfechten. Das macht uns sehr attraktiv - für Leute die unseren Rat benötigen.

Wen berät ihre bunte Truppe von Professoren quer durch die Fakultäten der Otto-von-Guericke-Universität und der Hochschule Magdeburg-Stendal?

Jeden, der uns qualitativ hochwertige Fragen stellt, auf die er keine 0-8-15-Antworten hören will: Politiker, Hochschulen, die Wirtschaft, selbst zum »emeritierten Papst« in Castel Gandolfo gibt es Kontakte. Wir wollen unser Urteil einbringen, als Maschinenbauer, Mediziner oder Humanwissenschaftler. Wir suchen die ergebnisoffene Diskussion. Uns macht es Spaß, das Aber herauszufordern.

Klingt, als wären Sie etwas auf Krawall gebürstet?

Politiker sind ihrer Partei verpflichtet, Unternehmer den Aktionären, wir fühlen uns allein unserer geistigen Herkunft verpflichtet. Da darf man doch wohl produktiv irritieren oder mal deutlich sagen, lasst mal bei euren Sparvorhaben die Kirche im Dorf.

Leisten Sie damit Lobbyarbeit für Ihre ehemaligen Lehrstühle?

Nein, gewiss nicht. Vielmehr geht es uns um ein modernes Bildungs- und Gesundheitswesen und um überlegte Entscheidungen zum Beispiel für den Wissenschaftsstandort Sachsen-Anhalt. Uns treiben keine Interessenlagen, wir gehen die Probleme als Wissenschaftler neutral an. Oft fehlt in der Landespolitik der Blick für die gesunde Balance, was wir Finanzminister Bullerjahn auch so sagen. Irgendwann ist so viel weggespart, dass dann auch das Potenzial fehlt, das weit mehr Geld einspielt als es kostet.

Wo sehen Sie solche falschen Richtungsentscheidungen im Land Sachsen-Anhalt?

Ich hatte hier an der Magdeburger Hochschulmedizin seit 1981 einen Lehrstuhl. Schon damals gab es einen großen Ärztemangel auf dem Lande und in vielen Fachrichtungen. Aber Jahr für Jahr wird auf den Numerus clausus von weniger als 200 Medizinstudenten gepocht, obwohl die Kapazität für 240 ausreicht. Da schlägt sich die Politik stolz vor die Brust, dass sie Mediziner vom Balkan oder dem arabischen Raum für unsere Kliniken angeworben hat. Hochqualifizierte Leute, die dort ausgebildet wurden und nun riskieren, dass die medizinische Versorgung in ihren Heimatländern an Qualität verliert. Bei Ingenieuren ist das ähnlich. Ich halte das für sehr bedenklich!

Die Magdeburger Emeriten sind ja kein Konsortium von Bedenkenträgern. Was treibt Sie dann, an Jean-Claude Juncker, den Kommissionspräsidenten der Europäischen Union, einen Brief zu schreiben?

Unser emeritio sorgt sich um die Zukunft Europas, denn seit Januar 2015 entscheidet die EU-Kommission ohne wissenschaftliche Beratung. Der Kommissionspräsident der EU, Jean-Claude Juncker, hat die Wissenschaftsberatung der EU ohne Angaben von Gründen abgeschafft. Persönlich fürchte ich, dass sich Politik in einem Selbsterhaltungstrieb immer stärker einseitig Lobbyvereinen beugt statt wissenschaftliche Argumente zu hören. Wir sehen die freie Forschung gefährdet, wenn statt wissenschaftsbasiert nach dem Bauchgefühl scheinbarer Mehrheiten entschieden wird. Die Grüne Gentechnik ist da nur eines der wohlzubedenkenden Themen.

Was hat der Verein emeritio derzeit noch auf der Agenda? Stehen bei aller Beratung von Politik und Wirtschaft die Türen auch den Normaldenkern offen?

Moment, ob wir mal ein richtiger Verein mit Satzung und Registereintrag werden wollen, darüber müssen wir noch einmal scharf nachdenken. Viel wichtiger ist uns, unsere Begeisterung weiterzugeben. Wir wollen unser Fachwissen so einbringen, dass die Menschen unsere Forschung verstehen. Dazu gehört der Philosophische Spaziergang im Klosterkreuzgang mit Rede und Gegenrede ebenso wie die Vortragsreihe »Forschung verstehen«. Hier übersetzen emeritio-Mitglieder ausgewählte Themen für Fachfremde und wecken für Wissenschaft und Forschung Neugier.

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