Närrisches Treiben in Wasungen

Thüringer Faschingsumzug macht sich über die neue rot-rot-grüne Landesregierung lustig

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch der Osten kann närrisch: Der Karneval im südthüringischen Wasungen gehört zu den traditionsreichsten Faschingshöhepunkten im deutschsprachigen Raum.

In Thüringen werde künftig »wieder der Linksverkehr eingeführt«, verkündete es unter viel Gelächter aus der Bütt in der Narrhalla Paradies - so heißt dieser Tage wieder der Festsaal im Bürgerhaus des thüringischen Kleinstädtchens Wasungen. Passend dazu spielte die närrische Kapelle den alten Mike-Krüger-Hit von »Bodo mit dem Bagger« am Baggerloch. Mithin bekommt nun Thüringens neue Regierung um LINKE-Ministerpräsident Bodo Ramelow den Spot der Jecken ab.

Die Wagenbauer des Faschingsumzugs am Samstag wurden von der rot-rot-grünen Landesregierung inspiriert. Ein übergroßer Kopf von Ramelow zeigte, wer jetzt den Hut in dem Land aufhabe. »Das letzte Westpaket«, kommentierten die Narren dazu in Anspielung auf dessen niedersächsische Herkunft. An einem anderen Wagen verschwand der Kopf eines SPD-Mannes im Hinterteil von Ramelow. Etwa 9000 Schaulustige verfolgten laut Polizei das Treiben.

Die Feier zwischen dem 7. und 17. Februar in den bergigen, engen Gassen des 3600-Narren-Städtchens bei Eisenach sucht wohl nicht nur im Osten der Republik ihresgleichen. Lädt doch der Wasunger Carneval Club (WCC) zu seiner 480. Saison ein. Darum verkündete WCC-Präsident Martin Krieg als aktuelles Motto auf Gutsüdthüringisch: »So ebbes gits näre ai moa« (So etwas gibt‘s nur einmal).

Wie sehr Fasching und Humor den Alltag Wasungens durchziehen, bewies am Samstag auch der gemeinsame Auftritt von Don Camillo und Peppone. Denn dahinter verbergen sich der evangelische Stadtpfarrer Stefan Kunze und Bürgermeister Manfred Koch. Erwartungsgemäß ging es auch hierbei teils derb politisch zu, als der Geistliche etwa lästerte: Der Bürgermeister habe »im Sozialismus gearbeitet, im Kapitalismus sein Geld verdient und bekommt nun im Sozialismus Rente«. Dahinter verbarg sich gleich eine doppelte Spitze - einerseits gegen die linke Regierung, andererseits gegen das Stadtoberhaupt selbst. Denn Koch regierte Wasungen bereits in der DDR, damals noch mit SED-Parteibuch. 1989 trat er aus und zugleich zurück, wurde aber seit 1994 - nun parteilos - stets wieder zum Bürgermeister gewählt. 2010 holte er gar 98,5 Prozent der Stimmen.

Zum bunten Reigen, den traditionell die Wasunger Stadtmusikanten, die trällernden Werraspatzen, Fanfarenzug und Tanzgarde sowie das sichtlich gealterte Wasunger Männerballett gestalteten, gehörte denn auch ein närrischer Rückblick. Historische Filme erinnerten an die Nachkriegsjahrzehnte, in denen ebenfalls stets um die 30 000 Narren zum Karneval nach Wasungen pilgerten. Selbst das DDR-Fernsehen berichtete meist live. Danach befragt, ob es seinerzeit eine Art Zensur bei der vorherigen Begutachtung der Umzugswagen gegeben habe, schüttelt der Bürgermeister indes den Kopf: Zumindest hätten nicht »irgendwelche Parteileute in die Scheunen der Karnevalisten geguckt, was die da so basteln«. Dabei nahmen sich diese schon die täglichen Nöte der Leute aufs Korn, etwa Versorgungsengpässe. Aber das sei von den Behörden toleriert worden, so Koch.

An konkreten Ärger erinnert er sich nur in zwei Fällen. Einmal hatten in den 1980er Jahren auf einem Wagen namens Biene Maja zwei große TV-Geräte gestanden - einer für das DDR-Programm und einer »fürs Westfernsehen«. Während ersterer schaffende Arbeiter zeigte, liefen im anderen bunte Sendungen. Nach einigen Diskussionen im Vorfeld habe indes der 1. SED-Kreissekretär entschieden: Der Wagen dürfe fahren. Anders bei einem Karnevalsgefährt, das die Imitation eines VW Golf zeigte, umrahmt von einem Plakat: »Der Große kauft sich den Golf, der Kleine läuft sich den Wolf«. Der WCC geißelte damit die Praxis, die ersten in die DDR importierten VW Golf »nur für verdienstvolle Genossen und hervorragende Kunstschaffende« zu reservieren. Dies sei der Partei dann doch zu weit gegangen, so Koch.

Auch andere Karnevalshochburgen gab es stets im Osten, etwa das ostsächsische Neugersdorf. Immerhin hatte das DDR-Kulturministerium bereits 1950 den Karneval zu einem Teil von Brauchtumspflege und Volkskultur erklärt und förderte ihn staatlich. Quer durch den Osten engagierten sich 1344 Karnevalsklubs mit gut 70 000 aktiven Narren. In 1980er Jahren bestritten sie pro Saison um die 120 000 Veranstaltungen mit 6,5 Millionen Besuchern.

Doch so berühmt wie Wasungen waren sie alle zusammen nicht. Immerhin kam die Deutsche Welle, als sie 1998 eine Dokumentation über einen typisch deutschen Karneval für ihre Sendungen im indopazifischen Raum produzierte, gezielt zum WCC. Als Argument dafür galt auch, dass sich hier in Südthüringen ein besonders volkstümlicher Straßenfasching erhielt. Und dieser war auch wieder am Samstag zu erleben, als der Große historische Festumzug wie stets den traditionellen Höhepunkt des Wasunger Karnevals bildete. Angeführt von Prinz Karneval vereinigt er 90 Umzugsbilder sowie neun Kapellen, Spielmanns- und Fanfarenzüge mit insgesamt 1800 Mitwirkenden zu einem mehrere Kilometer langen Marsch des Frohsinns.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal