Die Opfer leben weiter in Furcht

Friedensfilmpreis der Berlinale: »The Look of Silence« über die Massenmorde der indonesischen Militärdiktatur

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Als er in Indonesien Interviews zu führen begann, sei es ihm vorgekommen, als sei er in Nazi-Deutschland gelandet, erzählte Joshua Oppenheimer nach der Deutschland-Premiere von »The Look of Silence« auf der Berlinale. In einem Nazi-Deutschland der Gegenwart, das nie besiegt wurde und sich niemals für seine Massenmorde rechtfertigen musste. Wo die Täter herumlaufen und sich ihrer Taten brüsten - und Opferangehörige weiter in stillschweigender Furcht leben.

Während Oppenheimers vorangegangener Film »The Act of Killing« von den Mördern handelte, von ihrem ungebrochenen Selbstverständnis, ihrem Stolz auf die »staatstragende« Aufgabe, die sie bei der Kommunistenhatz in den 60ern erfüllten, zeigt »The Look of Silence« die Reaktion eines Opferangehörigen auf das, was die Täter vor der Kamera von sich gaben. Denn bevor »The Act of Killing« international und dann auch in Indonesien Furore machte, galt Oppenheimer vor Ort erst mal als Chronist der Täter, was kurzfristig als Schutzmantel taugte für ihn und die Opferangehörigen, mit denen er sprach.

Adi, jüngerer Bruder von Ramli, der Kommunist war und dafür 1965 von den lokalen Schergen des Militärregimes buchstäblich in Stücke gehauen wurde, sitzt da also vor dem Bildschirm und hört zu, wie sich die Täter mit dem Tod seines Bruders und vieler, vieler anderer brüsten. Detailverliebte Erzählungen, die schon für den Außenstehenden schwer zu ertragen sind - und hier sitzt einer, der groß geworden ist mit der unstillbaren Trauer der Mutter, die den Sohn nicht vor seinen Mördern retten konnte, und der Verwirrtheit des Vaters, dem spontan die Zähne ausfielen, als man seinen Ältesten abholte. Sitzt da und hört zu - und schweigt.

Und nachdem er gehört hat, was genau man damals mit seinem Bruder machte, der erst noch flüchten konnte, schwer verletzt, und dann doch den Häschern zum Opfer fiel, die mit ausufernder Grausamkeit beim zweiten Mal auf Nummer sicher gingen, geht Adi hin und redet mit den Tätern. Nichts als eine Entschuldigung will er, eine Erklärung vielleicht, irgendetwas, das ein Weiterleben im selben Land, am selben Ort, in der unmittelbaren Nachbarschaft irgendwie erträglich machen könnte. Und bekommt - nichts. (Inzwischen wurde die Familie sicherheitshalber in einen anderen Landesteil umgesiedelt.)

Massenmörder seien oberflächliche Menschen, bilanziert Joshua Oppenheimer, stets mit sich beschäftigt und grandios in der Lage, die Konnotationen der eigenen Taten zu verdrängen. Wo sein erster Film ein farbgesättigter Albtraum war, der das Fortdauern der Vergangenheit in der Gegenwart schildert, kann der zweite vielleicht als Therapieansatz dienen, um die Strukturen zu ändern, die eine solche kollektive Selbsttäuschung überhaupt erst möglich machen.

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