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»Ihr Arbeiter, Bauern, Luftfahrtkader«

Majakowskis Poem »Der fliegende Proletarier« erstmals in deutscher Übertragung

  • Ralph Grüneberger
  • Lesedauer: 4 Min.

In der ursprünglichen Reihe »Poesiealbum« aus dem Verlag Neues Leben kam Majakowski gleich nach Brecht. Das war auch lange meine eigene Rangfolge der Dichter des 20. Jahrhunderts. Im Westen galten beide viele Jahre als bolschewistische Propagandisten. Gemeinsam haben sie auch die Zuwendung zur Luftfahrt. 1929/30, vier, fünf Jahre nach Majakowski, widmete sich Brecht in dem gemeinsam mit Elisabeth Hauptmann verfassten Lehrstück »Der Flug der Lindberghs« der ersten Alleinüberquerung des Atlantiks im Jahre 1927. Gut 15 Jahre später, 1946, noch in den USA, hat Brecht dem großen Kollegen in dem »Epitaph an Majakowski« auf seine Weise gehuldigt: »Den Haien entrann ich / Die Tiger erlegte ich / Aufgefressen wurde ich / Von den Wanzen.«

Dass Wladimir Majakowski 1923 Gast der Leipziger Mustermesse war und sie besungen hat, hat mich als Messestädter immer mit Stolz erfüllt. Unvergessen ist mir mein Besuch des Majakowski-Museums in Moskau geblieben. Dass seinerzeit dort ganz in der Nähe die Tschekisten residierten, war die Erklärung für mich, dass es im Museum des poetischen Schreihalses damals so still war. Aber womöglich hatte man es auch sehr ernst genommen, dass er in seinen Abschiedsversen darum gebeten hatte, seinen Tod nicht ins Gerede zu bringen.

Geprägt hat meinen Majakowski freilich nicht der Deutschrusse Alexander Nitzberg, der die »Wolke in Hosen« zu einem »Wölkchen« macht, sondern der Sowjetunion-kundige österreichische Nachdichter Hugo Huppert, der die Größe des Georgiers früh schon erkannt hat: »Majakowskis beste Schöpfungen … stellen der Welt eine Dichtkunst von großer stofflicher und gedanklicher Reichweite vor Augen.« Natürlich reimte ich, als einer der »Genossen Enkel«, anfangs auch in Majakowski-Vers-Treppen. Doch irgendwie verbrauchte sich das schnell. Vieles geriet mir analog zu meinem Vorbild in dieser Form einfach zu eineindeutig. Zu viel Zwischenraum ging dabei verloren. Mehr Spaß hatte ich bald an Majakowskis Theaterstücken. Die Clownerie erwies sich auch Jahrzehnte später als probates Mittel, um gegen die geistige Beschränkung aufzubegehren. »Die auf Sitzungen Versessenen« habe ich gern zitiert.

Auch das Welthaltige an Majakowskis Versen hat mich immer fasziniert. Da hatte einer die Welt gesehen. Dass er zudem ein Flugjunkie war, lese ich erst jetzt in dieser großartigen Ausgabe aus der Edition ReVers, die das Verlagshaus J. Frank in Berlin herausgibt. Das etwa 80-seitige Langgedicht »Der fliegende Proletarier«, das formal journalistische Züge trägt und den Zwiespalt zwischen Technikversessenheit und Kapitalismuskritik zum Spagat werden lässt, wurde von Boris Preckwitz übersetzt oder besser gesagt: nachgedichtet. Bemerkenswert ist dabei, welche wunderbaren poetischen Anspielungen und Wortspiele Preckwitz (er)findet. Da klingt »sie fliegen … / sie fliegen« wie Heines »wir weben, wir weben« (auch das aus einer Zeit der technischen Revolution) und auch Lenins »An alle« kommt aus dem Radio. Da schwirren Endreime in der Textur herum und völlig neue Verben werden kreiert wie »betarnmalt« oder »beschraubschwungt«. Preckwitz scheut sich auch nicht, Worte einzusetzen, die erst 25 Jahre nach Majakowskis Flug-Poem aus der Sprache amerikanischer Teenager hervorgegangen sind, wie »cruisen«, um den Text auf heutige Leser zuzuschneiden.

Fliegen ist für die Allgemeinheit ja längst zur Gewohnheit geworden, eher hapert es an Proletariern. Und dass einem »Drinks und Erfrischung ... auf Knopfdruck kredenzt« werden, gilt nur noch für wenige Fluggesellschaften. Die das Buch komplettierende Zeittafel vermerkt Majakowskis USA-Reise, und das kommt bei seiner Rückkehr aus dem Ticker: »Frieden! / Die Völker / stehen nicht mehr im Kampf. / Ein Vivat / für diese Minute! / Die Große / Amerikanische Föderation / steht an der Seite der Sowjets und ihrer Union!«

Jakob Hinrichs’ Grafik-Collagen, die ganz selbstverständlich an die Agitprop-Kunst der Rostafenster erinnern, setzen Ruhepunkte zwischen die zumeist im Stakkato eines Telegrafen gesendeten Verse. Wie bei Suchbildern kann man das Gelesene noch einmal in Zitaten und Symbolen wiederfinden.

Profund gibt Jan Kuhlbrodt in seinem Nachwort dem Leser eine Art Lektüre-Passage und lässt auch die politische Dimension, die dem Text in Zeiten von kaltem und sich immer mehr aufheizendem Krieg zwischen den Supermächten innewohnt, nicht unerwähnt. Dass auf dem Innentitel Majakowski um zwei Jahre verjüngt wurde, hätte ihm sicher gefallen. Denn Altwerden war seine Sache nicht.

Wladimir Majakowski: Der fliegende Proletarier. Zweisprachig deutsch-russisch. Übersetzung von Boris Preckwitz. Illustrationen von Jakob Hinrichs. Nachwort von Jan Kuhlbrodt. Edition ReVers im Verlagshaus J. Frank. 128 S., br., 14,90 €.

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