Verführer, Bettler, Priester

Das Kino Arsenal zeigt Filme des russischen Stummfilmstars Ivan Mosjoukine

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Groß war er nicht, aber seine Ausstrahlung desto größer, und sie funktionierte hier wie dort, im vorrevolutionären Russland, wo er Offiziere spielte und Priester, fremdgehende Ehemänner, Teufelsgeiger und zweimal sogar den Teufel selbst, und später in Frankreich, dem Land seines post-revolutionären Exils. Ivan Mosjoukine war ein Superstar - jedenfalls bis zum Beginn der Tonfilmära. Zwei seiner russischen Filme und fünf Filme aus dem französischen Exil zeigt jetzt das Kino Arsenal, am Flügel begleitet von Hauspianistin Eunice Martin.

Von den russischen Filmen ist der eine, »Pique Dame« von Jakow Protasanow nach Puschkin, eher historisch interessant, während der andere, »Pater Sergius«, die beste Verfilmung seines Stoffes bleibt. »Pikowaja Dama« zeigt Mosjoukine mit kantigem Kinn, starrem Blick und schwerem Make-up als zaristischen Offizier, der sich vom Spiel verleiten lässt, obwohl er sich das Verlieren nicht leisten kann, und bald obsessiv der angeblich unfehlbaren Methode einer alten Rokoko-Kokotte hinterherfiebert, mit der man nie verliert. In »Otets Sergii« nach Tolstoi - dem späten, mystischen Tolstoi - ist Mosjoukine der Titelheld, ein ehrgeiziger, ungestümer Karriereoffizier, der sich aus enttäuschter Liebe vom Hofgetümmel in die Eremitage zurückzieht, auch dort weiter vom weiblichen Körper träumt und sich schließlich lieber selbst einen Finger abhackt, als sich von einer lasziven Frau verführen zu lassen.

1919 siedelte Mosjoukines Produzent Ermolieff sein Moskauer Studio noch recht geordnet auf die Krim um, 1920 ging die gesamte Truppe nach der Verstaatlichung der Filmindustrie eher fluchtartig auf die Reise via Konstantinopel nach Frankreich. Dort hatte man dank der auch in Russland tätigen Pathé reichlich Kontakte - und bald auch wieder ein Studio. Noch auf der Fahrt drehte Ermolieffs Truppe Teile von »L’angoissante aventure« mit einem quicksilbrigen Mosjoukine zu Schiff und vor exotischen Kulissen. Die exotischen Kulissen wurden Programm, die russische Filmkolonie in Frankreich später auch deshalb so erfolgreich, weil sie den Exotikhunger ihres Publikums bediente.

Mosjoukines zweite Regie-Arbeit, »Le brasier ardent« (nach »L’enfant du carnaval« von 1921) ist der Eröffnungsfilm der Arsenal-Reihe (der zum Abschluss am 10.3. nochmal gezeigt wird), ein Stück expressive Avantgarde, durchchoreografiert, psychologisierend und symbolgeladen, manchmal absurd, stellenweise anzüglich, gelegentlich sehr komisch, immer amüsant. Mosjoukine ist nicht nur Autor und Regisseur, sondern natürlich auch Hauptdarsteller, dämonisch, verführerisch, gefährlich, mal ganz Mann der Gesellschaft, mal Bettler vor der Kirchentür, mal Priester beim Hochamt, mal nächtliche Heimsuchung. Immer aber: ER, der SIE, die irgendwie unzufriedene Frau als solche, bis in ihre Träume verfolgt.

Der Höhepunkt der Reihe aber ist Alexandre Volkoffs Schauspielerdrama »Kean, ou Désorde et génie« nach Alexandre Dumas: ein Film, der Mosjoukines eigenes Ende vorausnimmt, krank, verarmt, verlassen, und ihn in stetem Wechsel zeigt zwischen den hehren Posen der Deklamation und der Projektion zutiefst menschlicher Gefühle, von verzehrender Leidenschaft, kalter Verachtung, absoluter Verzweiflung.

Schon sein bloßer Auftritt als Kean in Shakespeares Romeo reißt das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, und spätestens während der Balkonszene wird jede Frau im Saal zu seiner Julia, naive junge Erbinnen ebenso wie erfahrene Botschaftergattinnen - selbst die, auf der Prinz von Wales höchstselbst ein Auge zu werfen geruhte. Und dann folgt eine Kneipenszene, die die russischen Emigranten auf der absoluten Höhe der Filmkunst ihrer Zeit zeigt, wo Mosjoukine als Kean trinkt und trinkt und schließlich mit wildem Körpereinsatz zum Fiddeln eines einzelnen Geigers tanzt und tanzt und tanzt, bis sich das (Schnitt-)Tempo nicht mehr steigern lässt - weil seine Angebetete adlig ist, verheiratet und noch dazu die Geliebte seines künftigen Monarchen und damit selbst für einen gefeierten Theatermann wie ihn völlig unerreichbar. Ein trauriger Clown mit ungeheurem Sex Appeal, ein großer Tragöde in einer Kaschemme für Habenichtse, wie überhaupt tiefe Blicke, körperbetonte Komik und Pathos häufig nah beieinander liegen in Mosjoukines Werk. Die Botschaftergattin und die junge Naive träumen derweil von ihm, wie sie ihn, edel, auf der Bühne sahen. Und in der Kneipe zechen und tanzen farbige Matrosen mit - zu einer Zeit, als man im US-Kino noch weiße Darsteller auf schwarz schminkte.

Ein paar der großen späten Mosjoukine-Schaukästen wie Volkoffs »Casanova«, Tourjanskys »Michel Strogoff« nach Jules Verne (in Deutschland besser bekannt unter seiner Job-Beschreibung, als »Der Kurier des Zaren«), Jean Epsteins »Le Lion des Mogols« oder Volkoffs in Deutschland produzierter »Der weiße Teufel« (wieder nach Tolstoi, mit einer herzzereißend schönen Lil Dagover) fehlen in dieser ersten Reihe ebenso wie die wunderbare Fortsetzungsgeschichte »La maison du mystère« (ebenfalls Volkoff). Vielleicht darf man auf eine zweite Begegnung mit Mosjoukine hoffen?

»Ivan Mosjoukine Superstar«, Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, bis 10.3., Kartentel. (030) 26 95 51 00, Filminfo: www.arsenal-berlin.de

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