Bouffier ohne Entlastung im NSU-Ausschuss

Experten werfen Behörden Verschleierung vor

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zur Aufarbeitung behördlichen Versagens im Falle des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) steigt der Aufklärungsdruck auf die schwarz-grüne Landesregierung. Vor allem Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) kommt zunehmend in Erklärungsnot. So lieferte die Befragung von Sachverständigen am Montag in Wiesbaden keinerlei Hinweise, die zu einer Entlastung Bouffiers von Vorwürfen im Zusammenhang mit dem vermutlich durch den NSU verübten Mord an einem türkischstämmigen Betreiber eines Internet-Cafés in Kassel im April 2006 führen könnten.

Damals hatte sich Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, am Tatort aufgehalten. Bouffier war zu dem Zeitpunkt Innenminister. Nach Ansicht der Opposition hatte er seinerzeit das Landesamt für Verfassungsschutz darin bestärkt, die Ermittlungen in dem Mordfall zu blockieren. Bouffier bestreitet das. Nun nähren Abhörprotokolle den Verdacht, dass alle Beteiligten koordiniert die Rolle von Temme verschleiern wollen. Seine Aussage, er habe vor Ort nichts gesehen, gilt als extrem fragwürdig.

Dass der Mord einen Nährboden hatte, unterstrich der Marburger Rechtsextremismusforscher Benno Hafeneger. Zwischen Neonazis in Thüringen und Hessen hätten sich über die Jahre sehr enge Beziehungen entwickelt. Zudem sei in Hessen über viele Jahre der Diskurs zwischen wissenschaftlich begleiteten Netzwerken zur Prävention von Rechtsextremismus und den staatlichen Behörden blockiert gewesen. »Es gab keine Kommunikation und völlig unterschiedliche Blicke auf gesellschaftliche Realitäten.« Erst seit drei bis vier Jahren habe sich »einiges bewegt«, erklärte Hafeneger. Im November 2011 war die Terrorgruppe aufgeflogen.

Auch für den Publizisten und Buchautoren Dirk Laabs ist die enge Verflechtung zwischen Neonaziakteuren sowie Straftätern in Nordhessen und im angrenzenden Thüringen »auffällig«. Die Verfassungsschützer in Bund und Ländern hätten seit den 1990er Jahren »jede Menge V-Leute« in der Szene eingesetzt und ausgerechnet der zuständige Abteilungsleiter in der Kölner Bundeszentrale habe später offenbar brisante Akten geschreddert, sagte er. »Hier geht es nicht um eine Gedichtinterpretation in der 8. Klasse, sondern um das Wissen um einen bevorstehenden Mord.«

Laabs bescheinigte den beteiligten Behörden, beim Münchner NSU-Prozess und in Untersuchungsausschüssen in Bund und Ländern eine Aufklärung der Mordserie auszubremsen und sachdienliche Informationen zurückzuhalten. Die staatlichen Behörden hätten »eine öffentliche Verteidigungslinie vorgegeben, die der Zeuge nur noch aufnehmen muss«, meinte er. »Hier scheint Quellenschutz wichtiger zu sein als die Aufklärung eines Mordes.« Es dränge sich der Verdacht auf, dass sich Temme zur Tatzeit dienstlich im Internetcafé aufgehalten habe und dieser Sachverhalt öffentlich vertuscht werden solle. Laabs erinnerte daran, dass Hessen auch dem bis 2013 tätigen NSU-Ausschuss im Bundestag nicht alle für die Aufklärung relevanten Akten, Protokolle und Berichte vollständig zur Verfügung gestellt habe.

Die Abgeordnete Nancy Faeser (SPD) verlangte eine lückenlose Aufklärung und Aussagegenehmigung der Regierungsbehörden für alle Zeugen. Nun sei Ministerpräsident Bouffier am Zuge und müsse zeigen, ob er die Vorwürfe entkräften könne, erklärte Hermann Schaus (LINKE).

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