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Eine Wohnung in Walchow

Wie schwierig es tatsächlich ist, in Ostprignitz-Ruppin Quartiere für Flüchtlinge zu finden

Mark Thomas wollte drei Zimmer, Küche, Bad auf seinem Bauernhof günstig an eine Flüchtlingsfamilie vermieten. Er erhielt eine Absage.

Der alte Bauernhof an der Dorfstraße 39 in Walchow (Ostprignitz-Ruppin) wird bestimmt einmal ein echtes Schmuckstück. Doch bis es soweit ist, muss Mark Thomas noch eine Stange Geld und eine Menge Arbeit hineinstecken. Vor zweieinhalb Jahren hat der freundliche und hilfsbereite Kfz-Mechaniker den Hof gekauft, um in den Garagen Oldtimer unterzustellen - seinen Pkw Trabant Cabrio und seine Motorräder sowie den alten Citroën eines Bekannten.

Die Woche über ackert Thomas in seiner Autowerkstatt in Berlin. Nur an den Wochenenden fährt er raus nach Walchow und packt dort an. Erstaunlich, was der 51-Jährige in vergleichsweise kurzer Zeit schon geschafft hat. Der größte Teil der Fassade des Bauernhauses ist bereits erneuert. Die Wände des großen Kellers, dessen Räume zum Teil mit Feldsteinen gebaut und mit Gewölben versehen sind, hat der Kfz-Mechaniker vom Putz befreit. Gegenwärtig schippt Mark Thomas mit Helfern Schutt aus der Scheune, bei der das Dach und ein Giebel eingefallen sind. Die Scheune soll ebenso wie die drei Wohnungen im Haus schrittweise saniert werden.

Oben lebt die Vorbesitzerin des Hofs nun zur Miete. Allein war sie mit der Unterhaltung des Gehöfts überfordert und hat es deshalb abgetreten. Aus der Wohnung im Erdgeschoss räumte die Frau jetzt erst ihre Möbel. Hier müsste dringend gemalert werden, denn die Tapeten sind vergilbt. In einem Zimmer und im Bad der 72 Quadratmeter großen Drei-Raum-Wohnung sind Risse in den Wänden zu sehen, die durch längst behobene Dachschäden entstanden. Damals wellte sich auch die Deckenverkleidung im Bad und die Fugen der Fliesen bekamen Risse. Der verkalkte Spülkasten der Toilette steht offen.

Mark Thomas hat aber nicht abgewartet, bis all diese Dinge in Ordnung gebracht sind, bevor er die Wohnung als Domizil für eine Flüchtlingsfamilie angeboten hat. Seine Partnerin stammt aus dem Iran und leitet ein Asylheim. Daher weiß er, dass Flüchtlingsunterkünfte gerade dringend gesucht werden. Thomas entschloss sich, schnell zu handeln. Für 320 Euro kalt im Monat wollte er die Wohnung in Walchow sofort günstig vermieten. Dazu würden rund 100 Euro für Gasheizung und Warmwasser kommen.

Sozialministerin Diana Golze (LINKE) besuchte im Dezember das gar nicht weit von Walchow entfernt gelegene Asylheim an der Erich-Dickhoff-Straße 51 in Neuruppin. Dort schilderten ihr die Mitarbeiter des Betreibers - der Ruppiner Kliniken GmbH - und Sozialdezernentin Waltraud Kuhne die Schwierigkeiten, Quartiere für Flüchtlinge zu finden. Denn das Heim sei nur eine Übergangslösung, hieß es. Jeweils binnen Jahresfrist solle für alle Insassen eine Wohnung aufgetrieben werden.

Vermieter Thomas ist jetzt aber misstrauisch. Denn Martin Osinski, der Koordinator für Asylangelegenheiten bei den Ruppiner Kliniken, zeigte anfangs Interesse an der Walchower Wohnung. Doch nach einer Besichtigung am 29. November sagte er ab. Kfz-Mechaniker Thomas ist sauer. Er argwöhnt, dass sich Heimbetreiber wie die Ruppiner Kliniken nicht ernsthaft um jede Wohnung bemühen, weil sie wahrscheinlich daran verdienen, wenn die Flüchtlinge länger in ihren Gemeinschaftsunterkünften ausharren müssen. Eine kaum zu übersehene Tatsache ist, dass für bestimmte Firmen und selbst für einige Wohlfahrtsorganisationen die Unterbringung der Flüchtlinge ein Geschäft ist. Aber sind die Ruppiner Kliniken tatsächlich auch so gestrickt oder hatte Osinski einen triftigen Grund für seine Ablehnung?

»Es kann schon sein, dass es ein bisschen muffig aus dem Keller gerochen hat«, räumt Mark Thomas freimütig ein. Nach starken Regenfällen sei der Gastank auf dem Hof nach oben gekommen und das Verbindungsrohr sei abgerissen. Mehrere Wochen konnte deswegen nicht geheizt werden. Doch mittlerweile ließ Thomas das Haus ans Erdgasnetz anschließen. Die Wohnung ist jetzt trocken und warm. Millionen Ostdeutsche haben noch in den 1970er Jahren schlechter gewohnt, bevor das ambitionierte Wohnungsbauprogramm der DDR-Regierung zu greifen begann. Keine Seltenheit waren seinerzeit Kachelöfen und Außentoiletten - entweder halbe Treppe oder als Plumpsklo auf dem Hof.

Daran gemessen bietet das Quartier in Walchow Luxus. Aber die Ansprüche sind natürlich gestiegen. Da wirkt die Wohnung doch sehr, sehr bescheiden. Andererseits ist im Asylheim an der Erich-Dickhoff-Straße im Dezember auch noch nicht alles Tipptopp gewesen, obwohl dieses Heim eindeutig zu den besseren Gemeinschaftsunterkünften im Land Brandenburg gehört. Die Mitarbeiterinnen dort kümmern sich professionell und engagiert um die Belange der Bewohner.

»Die Wohnung machte einen renovierungsbedürftigen Eindruck und es roch feucht«, schildert Asylkoordinator Osinski seine Beweggründe für die Absage. »Die Nachbarin aus dem Obergeschoss war in Sorge, dass dort alleinstehende Männer einziehen könnten, und auch Herr Thomas wollte bevorzugt eine Familie dort wohnen lassen.« Leider hätte es außerdem in Walchow in erreichbarer Nähe auch keine Betreuungsstrukturen für die Flüchtlinge gegeben. Die seinerzeit angedachte Anbindung an einen Wohnungsverbund für Flüchtlinge im Nachbardorf Protzen könne nicht realisiert werden, weil dieser Verbund nicht zustande komme.

Osinski betont: »Die Ruppiner Kliniken haben kein Interesse an möglichst langer Verweildauer in Gemeinschaftsunterkünften. Angesichts der Verpflichtung, steigende Aufnahmezahlen zu bewältigen, vor allem aber aus inhaltlichen Erwägungen wird eine möglichst kurze Verweildauer in den Übergangswohnheimen angestrebt.« Das Personal betreue die Asylbewerber so lange, »wie sie in den Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes fallen, auch dann, wenn sie in Wohnungen umziehen«. Die Mietverträge werden von den Flüchtlingen selbst unterschrieben, oder der Landkreis Ostprignitz-Ruppin tritt als Zwischenmieter auf. Zu den Einnahmen seines Unternehmens führt Osinski aus: »Die Ruppiner Kliniken GmbH arbeit auf Grundlage von Verträgen mit dem Landkreis, die kostendeckend kalkuliert sind.«

Etwa 40 Wohnungen für zusammen rund 150 Personen konnten bislang gefunden werden. »Die Wohnungswirtschaft ist durchweg kooperativ«, sagt Osinski. Er bestätigt, dass für Flüchtlingsfamilien leichter ein Mietsquartier gefunden werden kann als für alleinstehende Männer.

Eine für Flüchtlinge geeignete Wohnung muss bestimmte Standards erfüllen. Es gilt die Richtlinie des Jobcenters für die Übernahme von Miete und Heizkosten von Hartz-IV-Betroffenen. In der von Landrat Ralf Reinhardt abgezeichneten Richtlinie heißt es: »Angemessen ist eine Wohnung, wenn sie nach Lage, Ausstattung und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist.« In Walchow dürften laut Richtlinie drei Personen maximal 80 Quadratmeter beanspruchen, die netto kalt höchstens 320 Euro im Monat kosten. Bei vier Personen wären es maximal 90 Quadratmeter und höchstens 351 Euro.

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