Fleischklopfer trifft Mingvase

Ab 20. März sind die »Porzellanwelten« auf der Leuchtenburg komplett.

  • Ekkehart Eichler
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 2. November 1904 wird die 69-jährige Charlotte Liebermann in einer dunklen Gasse von zwei finsteren Gestalten mit den Worten bedroht: »Hey Alte, rück deine Kohle raus!«. Frau Liebermann ist nach einem Nachmittag im neueröffneten Kaufhaus Tietz am Berliner Alexanderplatz, wo sie einen Fleischklopfer aus Porzellan erstanden hat, auf dem Weg zum Zug zurück nach Eisenach. Zunächst schlägt die beherzte ehemalige Fechtmeisterin den Dieben vor, das Weite zu suchen und - als dies nicht fruchtet - den großen der beiden mit dem Fleischklopfer nieder und den kleinen, darüber völlig verschreckt, in die Flucht. Die währt allerdings kaum 30 Schritte bis in die Arme des preußischen Schutzmanns Otto Schulze. Die beiden Ganoven verbringen die nächsten Jahre in der Haftanstalt Neukölln; der Fleischklopfer von Charlotte Liebermann hingegen erhält einen Ehrenplatz auf der Anrichte neben den Bildern ihres verstorbenen Mannes. Was für eine herrliche Geschichte! Wie andere amüsante Episoden per Knopfdruck als Videoclip zu hören und zu sehen am Originalexponat. Der Fleischklopfer mit seinem Kopf aus »weißem Gold« ist eines von 350 ausgewählten und außergewöhnlichen Stücken der Leuchtenburger Porzellanwelten, die sich binnen kürzester Zeit in die Bel-Etage der Thüringer Tourismusattraktionen katapultiert haben. Mit einem ebenso originellen wie innovativen Design- und Ausstellungskonzept rund um das weltbekannte Thüringer Porzellan.

Da wäre zum einen der Rahmen: Die 800 Jahre alte und fast vollständig erhaltene Leuchtenburg könnte man sich schöner kaum malen - sie wird völlig zu Recht als »Königin des Saaletals« geadelt. In ihrer Frühzeit Verwaltungssitz, später Zucht-, Armen- und Irrenhaus, ab 1920 Jugendherberge, hat die Prachtburg mit ihrem fantastischen Panoramarundblick über all die Jahre nichts von ihrem Flair eingebüßt - allein das lohnt schon den Aufstieg.

Doch der eigentliche Clou ist all das, was seit 2010 in den alten Gemäuern peu à peu restauriert, neugebaut, installiert und inszeniert wurde, um dem »weißen Gold« aus Thüringen ein weithin leuchtendes Denkmal zu setzen - mittels der sieben Welten nämlich, die Porzellan aus über 500 Jahren zeigen. Die letzten drei davon werden am kommenden Freitag eröffnet, damit sind die »Porzellanwelten« dann komplett. Ganz anders als museumsüblich, gehen die Besucher dabei auf eine Abenteuer- und Entdeckungsreise durch die von namhaften Ausstellungsdesignern wie Libeskind-Schüler Michael J. Brown in jeder Hinsicht ungewöhnlich gestalteten Erlebnisräume.

Mit der Welt »Das Fremde« beginnt diese Expedition. Ein Schattentheater versetzt die Besucher ins ferne China, das Ursprungsland des Porzellans. Von dort gelangte es auf alten Handelswegen zu Land und zu Wasser an die europäischen Königshäuser und Fürstenhöfe. Doch nicht alle Schiffe kamen an, und so erlebt man hier auf 425 Metern über dem Meeresspiegel etwa die fabelhafte mediale Show einer echten Schatzsuche auf dem Meeresgrund, bei der 700 000 Stücke wertvollstes Porzellan aus dem 16. Jahrhundert in einem Schiffswrack vor Indonesien entdeckt wurden.

Auch das älteste Exponat der Leuchtenburg nahm einen Umweg über die Tiefen des Ozeans. Hollywood-Star Kevin Costner, der sich seit Jahren für die Rettung von maritimem Kulturgut einsetzt, überreichte dem Museum auf der Leuchtenburg im Juli 2014 eine Mingschale von 1558 aus dem Wrack einer portugiesischen Karavelle.

Die meisten der blendend weißen Kostbarkeiten landeten seinerzeit übrigens als exotische Raritäten in den höfischen Wunderkammern. Der Nachbau eines solchen Schatzkabinetts gehört zu den zweifellos entzückendsten Ideen der Leuchtenburger. Weil diverse Figuren und Gemälde ganz plötzlich und wahrhaftig zum Leben erwachen.

Ein überdimensionales Filmplakat mit vier Männern vor mystischer Waldkulisse, darunter Porzellanerfinder Johann Friedrich Böttger, weist den Weg in Welt Nummer zwei: »Das Rätsel«. Sie kreist um die Versuche, Irrwege und Erfolge der Forscher, die Formel zur Herstellung des Porzellans zu finden. In einem schummrigen Alchemistenlabor kann sich jeder an Wiegeschalen selbst an der richtigen Mischung probieren und im Brennofen an der korrekten Temperatur. Ein kleiner Fehler nur, und die kostbare Vase zerspringt. Wie andere misslungene Stücke landet sie im »Raum des Scheiterns« bei krummen Tellern, schiefen Kannen und beinlosen Pferden.

Wertvolle Porzellane der frühen Thüringer Manufakturen schmücken die dritte Welt: »Das Kostbare«. Rund um eine festlich gedeckte barocke Tafel wird der Besucher Teil einer höfischen Inszenierung. Er erlebt, wie das Porzellan die Esskultur veränderte und zum Status- und Machtsymbol wurde. Größte Kostbarkeit hier sind die um 1770 gefertigten »Vier Elemente« - Figurenpaare, die Feuer, Wasser, Erde und Luft darstellen. Auch die Frage, warum sich gerade der Thüringer Wald als Porzellanstandort so erfolgreich entwickeln konnte, wird hier sehr innovativ beantwortet.

Eine labyrinthartige Holzkonstruktion bildet den Rahmen für die vierte Welt mit dem Namen »Das Alltägliche«. All das nämlich, was sich hier auf den markanten pinkfarbenen Balken wiederfindet, entstand, nachdem sich das Porzellan im 19. Jahrhundert vom exklusiven Einzelstück zur bezahlbaren Massenware gewandelt hatte und von Thüringer Manufakturen in großen Mengen in alle Welt verschickt wurde: Tischporzellan, Spielwaren, Souvenirs, Bügeleisen, Feuerzeuge oder Isolatoren.

Gleich zwei neue Superlative bieten die Welten fünf und sechs: eine der weltgrößten jemals aus Porzellan gefertigten Vasen, die fast acht Meter misst, und ein 20 Meter langer »Skywalk der Wünsche«, der weit über die Burgmauern hinausragt. Von hier aus dürfen die Besucher Porzellan in die Tiefe werfen, auf das sie vorher ihre Wünsche geschrieben haben. Scherben sollen ja bekanntlich Glück bringen. Glück hat das ganze Konzept bereits den Machern gebracht. Am 7. Juli 2014 wurden es mit dem Thüringer Tourismuspreis des Jahres ausgezeichnet.

Infos

Die Leuchtenburg liegt an der A4 bei Jena, der Aufstieg vom Parkplatz dauert ca. 10 bis 15 Minuten (Shuttle möglich), Öffnungszeiten: täglich von 9 – 19 Uhr (April bis Oktober), 10 – 16 Uhr (November bis März) Eintritt: 9,90/6,40 Euro (Kinder bis 16), www.leuchtenburg.de . Allgemeine touristische Infos zu Thüringen: www.thueringen-entdecken.de
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