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Ein Leuchtturm fällt ins Wasser

Das Aus für den »Baltic Fashion Award«.

  • Astrid Kloock
  • Lesedauer: 8 Min.

Ich kann es nicht glauben. Bis gestern zählte die Mode-Gala auf Usedom zu den kulturellen Leuchttürmen an der Küste. Noch 2012 gab die Gemeinde ein Bekenntnis ab: »Die Gemeindevertretung beschließt im Grundsatz die weitere Durchführung von Modeveranstaltungen in den nächsten Jahren (...) besonders den ›Baltic Fashion Award‹«. Jetzt verkündet Thomas Heilmann, der Kurdirektor der Kaiserbäder Insel Usedom, es fehle das Geld. Frank Lettner, Gemeindevertreter der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf, relativiert: Die Kosten für den Award kämen aus der Fremdenverkehrsabgabe und würden die Gemeindekasse um keinen Cent ärmer machen.

Die Küste, unser touristisches Sahnestück, schwächelt. Heiligendamm, die weiße Stadt am Meer, ist glücklos seit Jahren. Die Kreidefelsen bröckeln. Aquis submersus. Die Kaiserbäder geben auf. Jetzt, im Frühjahr 2015. Der Mode-Catwalk Usedom war nach Jahren der Mühe gerade ins Laufen gekommen.

»Baltic Fashion Award«, einziger internationaler Modewettbewerb im gesamten Ostseeraum. Aus oder Nicht-Aus?

Ich brauche eine Antwort mit Gewähr und besuche Andrej Subarew, Modedesigner, einer der Besten in unserem Land und seit fast zehn Jahren der Künstlerische Leiter vom »Baltic Fashion Award«.

Subarew ist im Aufbruch. Er räumt sein Büro aus.

»Der Award ist aus«, sagt er. Es klingt in meinen Ohren wie »Rouladen sind aus« - ein geflügeltes Wort aus DDR-Zeiten. Subarew ist in Russland geboren, in der Nähe von Tula, und in der DDR, in Jena, aufgewachsen, ein Ossi mit russischem Pass.

Seine Biografie kennt Umbrüche und Aufbrüche. Seine Entstehungsgeschichte: Soldat liebt Studentin. Absolventin wird schwanger und folgt nach Beendigung der Aufenthaltszeit dem Ex-Soldaten in die russische Heimat. Einige Jahre später gehen die Eltern zurück an den Ort, wo sie sich kennenlernten, nach Jena. Die Mutter arbeitet als Dolmetscherin bei Carl Zeiss Jena und als Lehrerin an der Erweiterten Oberschule, Russisch und Deutsch. Nach der Wende hat sie keine Arbeit mehr. Für sie ist die Wende kein Aufbruch; sie gehört nicht zu den Gewinnern.

Sohn Andrej ist 23, als Deutschland vereint wird. Er studiert an der Hochschule Kunst&Design Halle Burg Giebichenstein. Sein Leben ist bislang geschmeidig verlaufen. Schule, Geigenunterricht, Zeichenzirkel, Knabenchor. Berufsausbildung mit Abitur. Im Porzellanwerk Colditz lernt er Gefäßemacher. Im dritten Lehrjahr wird der talentierte Junge von der Produktion freigestellt. Er darf die Wände seiner Lehrwerkstatt bemalen, seine erste inwändige Kunst am Bau. Der VEB Porzellanwerke Kahla, sein Ausbildungsbetrieb, delegiert ihn zum Studium auf »die Burg«. Er beginnt in der Klasse der Gefäßgestalter und verlässt später die Hochschule als einer der ersten Modedesigner. Der Wechsel vom Gefäß zur Mode setzte handwerkliches Können voraus.

»Können Sie nähen?« Subarew hatte als Jugendlicher für sich und für Freunde geschneidert. Er beherrschte das Rückwärts-Nähen, trennte alte Sachen auf, legte sämtliche Einzelteile aneinander, fügte nach dem Legemuster das neue Teil zusammen und erlernte so auf eigene Weise die Schnitttechnik. Auf der »Burg« lernt er das Vorwärts-Nähen. Er schneidert ein Maßkostüm für seine »Ex-Gefäß-Professorin«. Das ist die Eintrittskarte für den Wechsel ins Modefach. Den Abschluss auf der Hochschule macht er mit Auszeichnung.

Es ist das Jahr 1991. Subarew ist für den Aufbruch gerüstet. Er hat eine exzellente Ausbildung hinter sich und die Freiheit vor sich. Die erweist sich im Osten als begrenzt. VEB Exquisit Moden, sein mögliches Ziel, wird abgewickelt. Er kehrt dem Abwicklungsland den Rücken und geht nach Holland. Am Fashion Institut in Arnheim erwirbt er in einem weiteren dreijährigen Studium zu seinem Diplom als Grafik-, Textil- und Modedesigner das Diplom für Modemanagement. »Hört sich gut an«, sagt er, »war aber nicht leicht. Niederländisch verstand ich zunächst nicht. ›Die feinen Unterschiede - Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft‹ von Pierre Bourdieu ist ein dicker Wälzer. Zur Prüfung musste ich wissen, was drinsteht. Beim Sprache lernen haben mir viele geholfen. Wenn wir zum Beispiel mit den Kommilitonen in der Mensa saßen, meistens zehn in der Runde, musste ich für alle zehn das Essen bestellen. Das übt. Dat klopt.«

Seit 1994 ist Andrej Subarew wieder in Deutschland. In der Hansestadt Wismar hat er sich eingerichtet. Er liebt den Norden, das direkte, unverblümte Wesen der Menschen, die Landschaft, groß und interessant, manchmal grau, warum nicht. Für einen jungen Kreativen ein reiches Betätigungsfeld, sollte man meinen. Das Land war in Bewegung in den 90er Jahren. Die Landespolitiker hatten ihr »Tafelsilber« erkannt, die Ostseeküste, die Alleen, die Seen. Das Zauberwort hieß Tourismus. Er sollte dem Land an der Küste das Wirtschaftswunder bringen. Die Landesregierung kaufte von der MÄX-Agentur eine Werbekampagne »Blond. Blauäugig. Blöd«. Jule, Studentin aus Greifswald, 22 Jahre, dunkelhäutig, als Frontfrau für ein modernes und tolerantes Mecklenburg-Vorpommern. Aber die schöne Jule war eine Pechmarie. Selbstironie als Zeichen von Intelligenz kam beim Volk nicht an. Karl-Rainer von der Ahé, Chef der Werbeagentur MÄX, zog eine andere Trumpfkarte. Das Thema Mode war noch nicht besetzt. Die Kaiserbäder mit ihren Seebrücken und Stränden als Kontrastprogramm zu den ausgetretenen Laufstegen in Mailand, Paris, New York - was für eine Chance! Die Idee bekam einen Namen: »Heringsdorf goes Fashion«. Ein Catwalk im fernen Osten - aufregend und neu. Der Start gelang. Von der Ahé hatte das Modethema hoffähig gemacht - er ging vom Osten wieder in den Westen. Subarew, der vom Westen in den Osten zurückgekommen war, übernahm im Jahre 2005.

Zehn Jahre später. Subarew verlegt seinen Arbeitsmittelpunkt von Wismar nach Berlin. In den Regalen seines Büros sind die Ordner zum Umzug gerichtet. Bilder sind von den Wänden genommen. Stoffballen stapeln sich zu wackligen Türmen. Der »Baltic Fashion Award«, erfolgreicher Nachfolger von »Heringsdorf goes Fashion« - ist kein Leuchtturm mehr. Licht aus trotz Gutwetterlage.

Erinnerung: 2014. Im 13. Jahr. Usedom war Modeinsel mehr denn je. Nachwuchsdesigner aus Deutschland, Polen, Schweden, Finnland, Lettland, Russland, Dänemark, Estland und Litauen bewarben sich um den Preis. Von etwa einhundert Designern waren zwölf in die Endauswahl gekommen. In Heringsdorf holten sie ihre Musterkollektionen von experimentell bis couture aus den Koffern und liefen Probe unter freiem Himmel. Urlauber und weitgereiste Fans genossen das Flair aus Ostseeluft und Extravaganz. Höhepunkt die Nominierungsshow im Kaiserbädersaal. Glitz und Glamour.

Form, Farbe, Musik, Bewegung. Subarew moderiert.

Mode ist, Mode will, Mode kann … Mode ist innovativ, kreativ, zeitlos, Mode ist Kunst. Mode will verführen, auffallen, provozieren. Mode kann gefallen oder abstoßen. Mode braucht, wie jede Kunst, die Beherrschung des Handwerks.

Vor Glitzer und Glamour steht die Arbeit. Am Wettbewerb dürfen sich nur Absolventen einer Modefach- oder Kunsthochschule beteiligen oder Jungdesigner mit Berufserfahrung. Die internationale Jury ist streng und hochkarätig besetzt: Zu ihr gehören unter anderen Margarete van den Bosch, Urgestein der schwedischen Mode und Creative Advisor bei H&M, Alexander Krenn, seit 1995 Chefdesigner bei Vivienne Westwood, und Modeprofessorin Ann Merete Ohrt, die die Outfits des dänischen Olympiateams und der königlichen Uniformen der dänischen Air Force entwarf. Die glücklichen Gewinner des Awards 2014 sind Anna Bornhold aus Bremen, Florin Wowretzko aus London und Katharina Buczek und Mads Dinesen aus Kopenhagen und Berlin. Als Designer, Models und Publikum nach der Show im Mai 2014 die Heimreise antreten, trennen sie sich in der Gewissheit: Nach dem Award ist vor dem Award.

Subarew ist in Erklärungsnot. Für den Award 2015 gibt es schon sechzig Anmeldungen. Aber es gibt keinen Award.

Ein »Baltic Fashion Award« kostet 300 000 Euro. Die knappe Hälfte der Summe wirft Heringsdorf, der Veranstalter, in den Topf. Die Landesregierung verspricht Unterstützung - unter der Bedingung, dass sich Sponsoren, möglichst aus der Textilindustrie, beteiligen. Sponsoren aus der Textilindustrie sagen ihre Beteiligung zu - unter der Bedingung, dass die Gemeinde Heringsdorf eine verlässliche Zusage gibt. Die verlässliche Zusage kann Heringsdorf ohne den Handschlag der Landesregierung nicht geben. Schraps hat den Hut verlor’n, A hat ihn. A hat ihn nicht, B hat ihn … Eine Endlosschleife, die kein Leuchtturm aushält. Der Baltic Award fällt ins Wasser.

Müßig, zu fragen, wer ist schuld?

Wichtig, zu fragen: Wer ist der Verlierer?

Verlierer sind die jungen Designer. Für sie ist der Wettbewerb ein Sprungbrett in die Selbstständigkeit. Verlierer ist auch die Modekultur. Der Award füllte eine Lücke im europäischen Raum. Deutsche, italienische oder französische Label sind gut vertreten, aber lettische, schwedische, polnische, dänische oder estnische?

Verlierer ist auch die Insel Usedom. Sie war auf dem Weg, mit dem Award die Modetradition der Kaiserbäder aus dem vergangenen Jahrhundert neu zu beleben. Sicher kann sie mit dem östlichen Meer, dem weißen Sand, mit Strandkörben und Fischbrötchen, mit Rachmaninow-Konzerten und großartigen Musikern ihre Trümpfe ausspielen.

Aber wo ist der Laufsteg, die Leichtigkeit des Seins, wo sind die Models, schön bis verrückt. Wo die Kleider und Fladruschen, in denen sich der Wind verfängt. Viele von uns waren Zuschauer und staunten. Die Gedanken bewegten sich, waren unterwegs zu lernen, dass nicht nur schön ist, was ich selber trage, sondern auch, wie sich andere kleiden.

Blond. Blauäugig. Blöd. Wir doch nicht. Zu uns kommt die Welt, und wir rollen den Roten Teppich aus.

Oder?

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