nd-aktuell.de / 21.03.2015 / Politik / Seite 4

Wir distanzieren uns nicht

Blockupy-Aktivist Martin Schmalzbauer sieht das Blockadekonzept bei den Protesten in Frankfurt am Main aufgegangen und hält soziale Unruhe weiter für dringend nötig

nd: Blockupy wollte am 18. März Geschichte schreiben. Welche Geschichte soll man sich in Zukunft von diesem Tag erzählen?
Schmalzbauer: Dass am Jahrestag der Pariser Kommune eine starke, europaweit vernetzte Bewegung gegen die Austeritätspolitik und für ein solidarisches Europa auf die Straße gegangen ist und zwar in Deutschland, dem Motor der Spardiktate.

In der Öffentlichkeit wird aber gerade eine andere Geschichte erzählt. Statt über Krisenkritik und notwendige Solidarität mit Griechenland reden alle über Randale.
Wir haben diese Aktionen nicht geplant und sie entsprachen nicht unserem Aktionskonsens. Sie verdecken in der medialen Repräsentation, dass viele Tausend Menschen gemeinsam mit Methoden des zivilen Ungehorsams versucht haben, an die EZB heranzukommen. Andererseits braucht man sich auch nicht zu wundern, dass Leute wütend sind über die autoritäre Krisenpolitik und über den Umgang der Polizei mit unseren Protesten in den vergangenen Jahren. Manche glauben, dass sie diese Wut am besten mit diesen Methoden ausdrücken können.

Es ist aber auch kein Wunder, dass sich die Medien darauf stürzen. Sind Sie kein bisschen sauer, dass damit nicht nur Fensterscheiben, sondern auch Ihre Pläne »gesmasht« wurden?
Das ist eine falsche mediale Wahrnehmung. Um die EZB herum fanden durchaus Blockaden nach dem Aktionskonsens statt. Es waren diese Aktionen, an denen sich viele Tausend unterschiedliche Menschen beteiligt haben, um ihr klares Nein zur Austeritätspolitik auszudrücken. Das Blockadekonzept war erfolgreich.

Angesichts der militanten Aufrufe von Autonomen im Vorfeld kam die Randale nicht ganz überraschend. Hätte die IL als Teil der radikalen Linken ihnen nicht signalisieren können, dass sie nicht kommen sollen?
Die Aufrufe stammen von Gruppen außerhalb des Bündnisses, und die tun eben, was sie wollen. Die IL hat keinen Einfluss darauf. Was wir tun können, haben wir getan, und zwar zu Aktionen einzuladen, die vermittelbar sind und die eine breite Beteiligung und Zustimmung ermöglichen.

Haben Sie vor Ort versucht, Leute davon abzuhalten, Autos oder die Läden von türkischen Kleinhändlern zu attackieren?
An unseren Blockadepunkten sagten wir deutlich, dass Aktionen außerhalb des verabredeten Aktionsbildes hier nicht erwünscht sind und wirkten darauf hin, dass sie nicht stattfinden. In meiner Gruppe war das nicht nötig. Was ich hier erlebt habe, war, dass die Polizei sofort auf uns Demonstranten eingeschlagen hat.

Muss man sich in Zukunft stärker abgrenzen von militanten Autonomen, um glaubwürdig zu sein?
Mir haben nicht alle Aktionen gefallen, aber wir distanzieren uns nicht von sozialem Widerstand. Wir brauchen dringend mehr soziale Unruhe. Wir wollen nicht verurteilen, wenn andere gegen diese unerträglichen Verhältnisse mit Aktionen aufstehen, die wir selber nicht machen würden. Im übrigen stand auch in unserem Aktionskonsens, dass wir solidarisch mit allen sind, die unsere politischen Ziele teilen. Der vielfältige, transnationale Widerstand gegen die fatale Verarmungspolitik der Troika ist am Sitz der EZB sichtbar geworden. Verurteilen sollte man die Polizeigewalt am Mittwoch. Dadurch kamen real Menschen zu Schaden.

Wie fällt Ihre Gesamtbilanz nach drei Jahren Blockupy aus? War der Auftakt 2012 vielleicht schon der Höhepunkt? Das öffentliche Echo jedenfalls war deutlich besser.
Das sehe ich anders. Wir haben nach drei Jahren Blockupy einen großen Schritt gemacht. Unser Anliegen war, neue Formen von Bewegungen, die 2011 entstanden sind durch Occupy und die 15M, zu verbinden mit traditionellen Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften und neueren Organisierungsformen wie IL und Attac. Wir wollten den starken Widerstand in anderen europäischen Ländern auch in Deutschland sichtbar machen. Und wir wollten nicht nur Solidarität bekunden, sondern gemeinsame Kämpfe entwickeln. Damit sind wir vorangekommen. Das Netzwerk ist gewachsen, in verschiedene Länder und in verschiedene politische Spektren hinein.

In Deutschland ist man über das linke Spektrum nicht hinaus gekommen.
Auch hier hat sich das Bündnis etwas verbreitert. So gibt es eine stärkere Beteiligung von Gewerkschaften und aus dem autonomen Spektrum. Aber es stimmt: Es gibt noch immer keine breite Bewegung. 80 Prozent der Bevölkerung sind mit der Krisenpolitik von Merkel und der Erpressungspolitik gegenüber Griechenland einverstanden. Deshalb ist es schwerer ein Bündnis zu schmieden als gegen Naziaufmärsche, wo es einen relativ starken Konsens gibt. Vor diesem Hintergrund ist es auch beachtlich, dass sich so viel mehr Menschen als 2012 an den Blockaden beteiligt haben. Darauf wollen wir aufbauen und die gesellschaftliche Breite des Widerstands weiter ausbauen.

Einige werden es sich nach diesen Erfahrungen beim nächsten Mal vielleicht überlegen, ob sie noch einmal bei Blockaden mitmachen.
Das hoffe ich natürlich nicht. Auch bei anderen Anlässen, etwa in Dresden gegen Nazis und beim Castor im Wendland, gab es immer ein Nebeneinander verschiedener Aktionsformen. Das hat die Bewegung nicht geschwächt. Ziviler Ungehorsam ist akzeptiert.

War's das jetzt mit Blockupy?
Wir werden in den nächsten Wochen diskutieren, wie es weitergehen soll, ob der Namen erhalten bleibt usw. Wichtig ist, dass die erreichten Vernetzungen erhalten bleiben und weiter ausgebaut werden. Seit 2012 sind durch Blockupy neue Verbindungen auf europäischer Ebene entstanden, und das Vertrauen zwischen den Bündnispartnern in Deutschland ist gewachsen. Wir müssen gemeinsam auf europäischer Ebene starke soziale Koalitionen aufbauen. Anfänge sind gemacht: Es gibt europaweit Initiativen gegen steigende Mieten, Zwangsräumungen oder gegen die Erpressungspolitik europäischer Institutionen. Zugleich findet ein Austausch über transnationale soziale Streiks statt. Über solche Perspektiven für die Zukunft werden wir reden, wenn Blockupy mehr oder anderes ist als Massenmobilisierungen nach Frankfurt.