Plagwitz feiert

Seit zehn Jahren gibt es in dem Leipziger Stadtteil ein Straßenfest für jeden

  • Danuta Schmidt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Straßenfest als Begegnungsstätte. Inmitten der Industriearchitektur eignen sich Bewohner, Künstler und Händler öffentlichen Raum an.

Leipzig ist das neue Berlin, heißt es. Das hat sich die einstige Messestadt erarbeitet: Seit zehn Jahren organisiert beispielsweise der Verein «Westbesuch e.V.» den «Westbesuch» und das «Westpaket». Was ist drin im Leipziger «Westpaket»? Das «Westpaket» ist zuerst einmal ein Bürgerfest, das am Samstag im zehnten Jahr stattfindet, erklärt Miriam Heinbuch, eine der Macherinnen des bunten Festes im Leipziger Stadtteil Plagwitz. Die Idee war ursprünglich, den Stadtteil mit seiner Industriearchitektur und seinen zwei traditionellen Veranstaltungshäusern wieder zu beleben. Das Fest findet auf der Karl-Heine-Straße zwischen dem denkmalgeschützten Ballhaus «Felsenkeller» aus dem Jahr 1890, der Schaubühne Lindenfels, ebenfalls ein Denkmal (Jugendstil), einer etablierten Bühne für Film und Literatur, und dem «Westwerk» (ehemals VEB Chemieanlagenbau) statt.

Der Stadtteil Plagwitz veränderte sich in den vergangenen zehn Jahren durch seine neuen Bewohner, durch Studenten, Kreative, Leute, die relativ autonom leben wollen. Der Verein «Westbesuch» funktioniert ein bisschen wie eine Gesprächsplattform. Städtischer Raum soll mitgestaltet werden dürfen. Mittlerweile wird aber auch hier das Wort «Gentrifizierung» laut ausgesprochen: Menschen mit mehr Geld vertreiben diejenigen, die diese individuelle Stadtteilkultur hier aufgebaut haben. Kapitalstarke Investoren kommen in das kleingliedrige, individuelle Umfeld. Parallelen zu Berliner Kiezen werden erkennbar, aus denen Menschen weggingen, weil sie sich den Standard dort nicht mehr leisten konnten: «Der Prozess hat auch bei uns begonnen und für uns als Verein steht die Frage der Neuorientierung. Jetzt können wir hier so leben, wie wir wollten. Nun geht es darum, wie wir dazu beitragen können, dass wir unabhängig bleiben», heißt es von Vereinsseite. Man verstehe sich auch außerhalb des Straßenfestes als Plattform und Netzwerk, um miteinander, die Neuen und die Alten, ins Gespräch zu kommen. Alle Anwohnerinteressen sollten berücksichtigt werden. «Auch unser Straßenfest ist in erster Linie Begegnungsort für alle sozialen Schichten. Alle sind in Leipzig willkommen.»

Das Stadtteilfest findet mindestens zweimal im Jahr statt, das zehnjährige Jubiläum wird dann am 4. Juli groß gefeiert. «Am kommenden Samstag präsentieren wir das »Westpaket«, das heisst, es kommen neben jungen Designern und Künstlern auch lokale Händler, Trödler und Anwohner mit ihren Verkaufsständen. Insgesamt sind 80 Händler, aber auch 23 Vereine vor Ort.

Im Sommer kommt dann der »Westbesuch«. Dann wird der Fokus auf Kulturprogramm mit internationalen und einheimischen Künstlern liegen. Aber ganz ohne Kultur kommt auch das »Westpaket« nicht aus: Im historischen »Felsenkeller« finden zwischen 11 und 18 Uhr Führungen statt. Auf einer Bühne an der Ecke Merseburger/ Karl-Heine-Straße spielt ab 11 Uhr unter anderem »Missilia« Piano-Songs mit Geige sowie die Metalband »Shot In A Continental«. Um 14.30 Uhr verlegt der Kölner Bildhauer Gunter Demnig Stolpersteine vor der Karl-Heine-Straße 57. Zwei jeweils zehn mal zehn Zentimeter große Messingtafeln erinnern an Lotte und Johanna Pergamenter. Die Schwestern hatten an diesem Ort gewohnt. Während der kurzen Gedenkfeier wird den Frauen mit einer Ansprache und Musik gedacht, auch Verwandte werden anreisen.

Im »Cineding« laufen ab 12 Uhr zu jeder vollen Stunde Kurzfilme. Um 14 und 16 Uhr spielt »Spellbound« Balkan-Musik im Hof. Ab 21 Uhr laden die Veranstalter hier zur Brass Band »Mardi Gras.bb« ein. Außerdem gibt es zwei besondere Aktionen: In der großen Halle des »Westwerks« suchen mit »Bücher to the People« Bibliotheksbücher neue Regale. Ein letztes Mal können die Besucher Bücher der alten Gewerkschaftsbibliothek des VEB Chemieanlagenbaukombinats Leipzig-Grimma ausleihen - ohne Rückgabefrist. Auf kreative Köpfe warten Rallye-Fahrzeuge von Orienthelfer e.V.: Gegen eine Spende dürfen diese bemalt werden. Mit dem Geld unterstützt der Verein syrische Flüchtlinge in Libanon.

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