Ein Christus für Chevron

Martin Leidenfrost suchte nach dem Widerstand gegen Erdgas-Fracking in Osteuropa

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich bezweifle sehr stark«, sagte der Präsident von Gasprom-Export, »dass Europäer eine Mondlandschaft bei ihren Häusern tolerieren würden.« Ein Grinsen, kurz und süffisant, huschte über Alexander Medwedews Stoneface. Wir saßen in der Dachetage des Moskauer Wolkenkratzers von Gasprom, ich drehte gerade den Dokumentarfilm »Gas Monopoly«. Das war 2011, die USA hatten sich mit Schiefergas unabhängig von Gasimport gemacht, und die amerikanische Technologie des Fracking drängte nach Europa. Fracking bedeutet, das in Schiefergestein gefangene Gas durch gewaltigen hydraulischen Druck freizurütteln, unter Beigabe von Chemikalien. In Frankreich war das nicht durchzusetzen. Drei osteuropäische Länder, die sich von ihrem verhassten Gaslieferanten Russland befreien wollten, setzten aber auf Schiefergas.

Und nun scheint alles schon wieder vorbei. Polens vermuteter Gasschatz erwies sich bei Probebohrungen als Fantasie. Den Konzernen blieben die Ostregionen zweier Ostländer, politisch passiv, hungrig nach Investitionen und fest in der Hand der Regierungsparteien. Chevron bekam die Lizenz für die rumänische Moldau, Shell wollte im ukrainischen Donbass zehn Milliarden Dollar investieren. Doch Überraschung - diese Ostler wehrten sich erbittert.

Ich war neulich im Donbass. Es ist mindestens auffällig, dass ausgerechnet in der Kurstadt, in der »Öko.Slawjansk« ab 2013 Demos gegen Fracking organisierte, 2014 der Sezessionskrieg begann. Ich kontaktierte diese Bürgerinitiative. Eine Aktivistin, die offenbar mit den aus Slawjansk abgezogenen Separatisten sympathisierte, schrieb mir halbanonym aus dem russischen Exil: »Wir konnten Shell nur aufgrund des beginnenden Bürgerkriegs aufhalten. Einige Aktivisten unserer Bewegung gingen unsere Erde verteidigen. Die Mehrheit fand Zuflucht in Russland. Die in Slawjansk Verbliebenen wurden von den jetzigen ukrainischen Machthabern für ihre Überzeugungen verfolgt. Der eine oder andere Aktivist heißt die jetzigen Machthaber gut und blieb in der Stadt.« Die Kiewer Regierung bezeichnete sie als »proamerikanische Geisteskranke«. Dass der Sohn von US-Vizepräsident Biden kurz nach dem Maidan-Umsturz beim ukrainischen Gasförderer Bursima anheuerte, schuf schon mal kein Vertrauen.

Ich hörte mich in Slawjansk um. Die Frau eines Forstunternehmers behauptete: »Man sagt, dass die Hauptader des Schiefergases unter unserem Leninplatz liegt. Darum soll der Krieg genau hier begonnen haben.« Ich ging bei Nacht in die Musik-Bar »Dukat«. Junge Männer, zerbrochene Gläser, frustrierte Tritte. Ein Nihilist mit Kulleraugen provozierte mich: »Ich scheiß auf alles. Meine Seele ist leer, aber ich fühle mich stark.« Als ich sagte, ich käme wegen dem Schiefergas, da zeigte er doch Emotion: »Ich hasse dich.«

Zu jener Zeit erreichte mich die Ankündigung, dass Chevron aus Rumänien abziehen will. Der Widerstand in der rumänischen Moldau hatte mich besonders überrascht, war mir der mediale Mainstream Rumäniens doch so antirussisch und amerikanisiert wie kaum anderswo erschienen; Ministerpräsident Ponta hatte explizit mit dem antirussischen Argument für Fracking plädiert. Ab 2013 waren jedoch Popen gegen Chevron aufmarschiert, und moldauische Bauernjungen hatten sich vor Chevron-Laster geworfen.

Es war schon dunkel, als ich im hartnäckigsten Widerstandsnest ankam. Pungeşti unterschied sich von anderen Dörfern durch die schiere Masse von Buß-Bildstöcken, um die sich blinkende Lichterketten rankten. Der junge Lebensmittelhändler fragte mich: »Glauben Sie, dass Chevron wirklich geht?« - »Nun ja, bei fallenden Gaspreisen ist Schiefergas unrentabel.« - »Jetzt ja, weil Putin bumm bumm. Aber kommen die in einem Jahr nicht wieder?«

Auch beim Tante-Emma-Billard im Ortsteil Siliştea, nahe der massiv umzäunten Bohrstelle, hatte keiner Vertrauen. Vor mir baute sich eine Reihe kleinwüchsiger Bauernjungen auf, alle die landestypische Langmütze auf dem Kopf. Prahlend erzählten sie, wie »tausend Polizisten« sie niedergeknüppelt hätten, »aus Bukarest, sogar Ungarn«; »dreißig von uns warten noch auf ihr Urteil.« Letzten Sonntag demonstrierten sie wieder. Ich verabschiedete mich, vor Chevron bemerkte ich einen neuen Bildstock. Ein aufwändig geschnitzter Christus, zu seinen Füßen ein Totenkopf. Darunter ein neuer Kilometerstein: »Pungeşti, 0 km: Würde, Mut, Rumänien.«

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