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Netanjahu in Nöten

Israels Ministerpräsident wird die Regierungsbildung wohl nicht so schnell abschließen

  • Oliver Eberhardt, Jerusalem
  • Lesedauer: 4 Min.
Schwierige Regierungsbildung in Israel: Gestritten wird um Posten, Beschränkungen für Medien und Gerichtsbarkeit, die Ausweitung der Todesstrafe. Beim Likud fürchtet man den Profil-Verlust.

Gut, dass es die wöchentliche Kabinettssitzung am Sonntagmorgen gibt. »Noch besser, dass es Iran gibt«, sagt Ja’ir Lapid von der im Zentrum verorteten Partei Jesch Atid. Kurz vor Mittag sitzt der Parteichef, bis Dezember Finanzminister, in einem Café im Stadtzentrum von Jerusalem und schaut auf den Fernseher. »Das sich in Lausanne anbahnende Abkommen zwischen den Weltmächten und Iran bestätigt Israels Befürchtungen in vollem Umfang, und übersteigt sie sogar«, sagt Benjamin Netanjahu, der scheidende Regierungschef. »Die Iran-Lausanne-Jemen-Achse ist eine Gefahr für die Menschheit und muss aufgehalten werden.«

Lapid lacht: »Immer wieder Iran; mehr Themen hat er nicht.« Doch ein Ziel hat Netanjahu am Sonntag erreicht: Für ein paar Stunden verschwinden die Koalitionsverhandlungen aus den Schlagzeilen. Denn es läuft überhaupt nicht gut mit der Regierungsbildung. Bis Pessach werde er die neue Regierung gebildet haben, hatte er kurz nach der Wahl vor zwei Wochen gesagt. Die Feiertage beginnen am Wochenende.

Und mittlerweile deutet nichts mehr darauf hin, dass bis dahin eine komplette Regierung zusammengebaut sein wird. Zwar wurde Netanjahus Likud-Block mit 30 von 120 Mandaten stärkste Kraft im Parlament. Doch für die Mehrheit braucht er mindestens die beiden ultraorthodoxen Parteien, die Siedlerpartei Jüdisches Heim, Jisrael Beitenu von Außenminister Avigdor Liebermann und die mitte-rechts angesiedelte Neupartei Kulanu. Das Besondere: Außer Jisrael Beitenu ist jede dieser Parteien Zünglein an der Waage.

Und jede dieser Parteien fordert deshalb das Maximum von Netanjahu. So will Jisrael Beitenu die Todesstrafe für Terroristen einführen. Jüdisches Heim möchte gerne Sondersteuern für links verortete ausländische Organisationen. Kulanu will so gut wie alle Posten, die irgendwie mit Geld zu tun haben, wobei sich allerdings die religiöse UTJ dafür interessiert. Die ebenfalls religiöse Schas will derweil die religiösen Einflüsse im Alltag ausbauen. Und eine Allianz aus rechten Likud-Abgeordneten und Parlamentariern von Jüdisches Heim will die Unabhängigkeit der Justiz schwächen. Außerdem stehen finanzielle Forderungen im Sozialbereich und beim Siedlungsbau in Milliardenhöhe im Raum. Und darüber hinaus wollen alle Parteien Ämter, möglichst wichtige und möglichst viele.

Beim Likud indes ist die anfängliche Begeisterung über das überraschend gute Wahlergebnis einer tiefen Ernüchterung gewichen. Noch in der Wahlnacht hatten viele der Abgeordneten sich für Ministerposten ins Spiel gebracht; man habe hart für dieses Ergebnis gearbeitet, wurde immer wieder gesagt. Und hinzugefügt: Man habe ja nun die Möglichkeit, eine rechts-religiöse Regierung zu bilden, man sei in vielen Punkten einer Meinung, die kleinen Parteien würden sich der Führung schon fügen.

Doch nun befürchtet man, zum Mehrheitsbeschaffer für die Kleinparteien zu werden. Der Likud lehnt die Todesstrafe ab; der eher konservative Flügel ist zudem vehement gegen Eingriffe in das Justizsystem. Dass man möglicherweise auch noch auf sämtliche Schlüsselressorts verzichten müsste, tut sein Übriges.

Auf wie wackligen Füßen die rechtsreligiöse Option steht, zeigte sich bereits am Donnerstag, als Kulanu einen Verhandlungstermin absagte, um die eigene Macht zu demonstrieren. Netanjahu schaut deshalb wieder nach links: Zu Lapid, aber auch zum Links-Mitte-Bündnis Zionistische Union. Mit beiden zusammen wäre eine Koalition aus nur drei Parteien machbar. Um sich dafür hübsch zu machen, ordnete Netanjahu am Freitag an, die Steuer- und Zollzahlungen an die palästinensische Regierung freizugeben, ein Schritt, der dringend notwendig ist: Am 1. April muss Palästina mehrere Kredite zurückzahlen, zudem werden Löhne für die 160 000 öffentlichen Bediensteten bereits seit Januar nur zu 60 Prozent ausgezahlt. Außerdem ordnete der Premier an, ein Bauprojekt in der Siedlung Har Homa auf Eis zu legen; die Arbeiten dort hätten am Sonntag beginnen sollen.

Doch sowohl Jesch Atid als auch die Zionistische Union winken ab. »Wir haben zwei Jahre lang versucht, in einer Netanjahu-Regierung etwas zu erreichen«, sagt Lapid. Und auch Jitzhak Herzog von der Zionistischen Union weist die Option weit von sich: »Wenn Netanjahu scheitert, stehen wir bereit. Aber wir werden kein Feigenblatt für eine Regierung sein, die Israel zerstören will.«

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