Eines von den schwierigen Bundesländern

Rot-Rot-Grün in Thüringen und die Raster linker Eingerichtetheit. Anmerkungen zum Stand einer nicht geführten Debatte

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

»Thüringen, Thüringen, Thüringen. Ist eines von den schwierigen Bundesländern.« Rainald Grebe hat ja gewissermaßen den Soundtrack zur rot-rot-grünen Regierungsbildung geschrieben - jedenfalls klang das Echo auf die politischen Vorgänge in Erfurt Ende des vergangenen Jahres so. Inzwischen sind alle schlechten Witze über Bananen, die im Freistaat trotz der Amtsübernahme von Bodo Ramelow immer noch angeboten werden (Wirklich?!), schon gemacht. Die Mitte-Links-Koalition hat sich eingerichtet, könnte man meinen. Läuft doch, sagen die einen. Wer es kritischer haben möchte, verweist auf höhere Erwartungen, was Geschwindigkeit und Tiefe von Veränderungen angeht.

Wie misst man politischen Erfolg, wie Misserfolg? Abgesehen davon, dass die gerade absolvierten rot-rot-grünen 100 Tage eben erst einmal auch nur dies sind: 100 Tage, hat die erste Übernahme eines Ministerpräsidentenamtes durch die Linkspartei bisher nicht allzu große Debatten ausgelöst.

Hier und da kann man lesen, wie das Thüringer Politlabor durch das Raster bestimmter Sichtweisen erscheint: Es gibt den »Siehste!«-Blick, der schon vorher wusste, wie schlimm und unveränderbar eigentlich alles ist. Es gibt den »Abwarten«-Modus, der darauf pocht, dass die Wirksamkeit von Veränderungen erst später erkennbar sein wird. Es gibt den Datail-Fokus, der sich im Milimeterbereich der politischen Umsetzung auskennt und weiß, wie viel Geld nun wirklich an die Kommunen überwiesen, an die freien Schulen gezahlt wird. Und es gibt so etwas wie die medial vereinnahmte Perspektive der einfachen Leute, denen es angeblich »ziemlich egal ist, wer in der Staatskanzlei sitzt«.

Was also wird nun gesagt von Leuten, die sich als linke Beobachter oder Akteure des Geschehens in Thüringen ansehen?

Zum Beispiel dies: Bodo Ramelow »demonstriert, dass die Linke staatstragend und realpolitisch auftreten und die modernen Gesten des Souveräns jederzeit abrufen kann. Ramelow ist der personifizierte Triumph der Realos in der Linkspartei.« Die Landesregierung in Thüringen folge »nicht aus Opportunismus, sondern aus der Schwäche, mit der spätestens seit 1998 alle irgendwie linken Regierungen in Deutschland geschlagen sind: dass sie nämlich auf die Entwicklungen des Kapitalismus keine Antwort wissen und auch keine geben könnten – dem Politikstil Angela Merkels. Und die politischen Konflikte werden einfach vaporisiert.«

Ebenso dies: »Der Sinn einer Regierungsübernahme als vorgebliches Mittel progressiver Gesellschaftsgestaltung steht auf dem Prüfstand. Nach 100 Tagen Amtszeit erwarten noch immer viele Menschen in Thüringen eine politische Wende weg vom neoliberalen Mainstream und hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Mit der Geschichte von Linksregierungen vertraute Sozialisten und Kommunisten befürchten, dass sich all dies bereits mittelfristig wieder einmal als Illusion erweisen wird. Die Linke in den ostdeutschen Landtagen versteht sich als Regierungspartei im Wartestand oder war bereits (als PDS) an Landeskabinetten beteiligt. Dabei hat sie sich weitgehend zu einer zweiten Sozialdemokratie entwickelt.«

Natürlich auch das: »Am Ende werden wir daran gemessen, ob die Regierung ihre Versprechen hält und für die Menschen in Thüringen reale Verbesserungen erreicht. Der praktische Nutzen im Hier und Jetzt wird der Gradmesser dafür sein, ob die Regierung erfolgreich ist oder nicht. Ich bin mir sicher: Unsere Bilanz kann sich bisher sehen lassen. Links wirkt, auch in der Regierung.«

Oder jenes: »Nach 100 Tagen Rot-Rot-Grün in Thüringen steht deshalb nicht mehr so sehr die Frage im Raum, was die drei Parteien mit dem Land machen. Die eigentliche Frage ist, was die Regierungsverantwortung mit den drei Parteien macht.«

Zum letztgenannten Punkt gab es dieser Tage auch eine Umfrage. Demoskopie ist vielleicht nicht die beste Antwort auf die Frage »Wie misst man politischen Erfolg, wie Misserfolg?« - aber man kann die Ergebnisse zumindest als Gradmesser betrachten. Wie warm oder kalt ist es also in Thüringen? Etwa so wie am Wahltag: Laut der Zahlen liegt Rot-Rot-Grün mit zusammen 46 Prozent knapp vor CDU und der Rechtspartei AfD mit zusammen 45 Prozent.

Die Linkspartei erreicht mit 28 Prozent den Bereich ihres Wahlergebnisses vom Herbst 2014. Die Union verliert ein bisschen, wohl auch deshalb, weil der »Anti-Ramelow-Effekt« nachlässt, welcher der nun von Mike Mohring geführten Landes-CDU zuvor ein paar Angst-Umfragestimmen gebracht haben dürfte. Die SPD bleibt mit elf Prozent schwach, wohl auch weil es ein kleiner Koalitionspartner hinter der »Haupt-Regierungspartei« immer etwas schwerer hat. Und wenn man schon von einem zweiten, wirklich erkennbaren Akteur in der Thüringer Landesregierung sprechen möchte, sind es - zumindest aus der Berliner Perspektive - die Grünen. Die stehen bei sieben Prozent. Die Rechtspartei AfD, deren Thüringer Ableger für jede Menge auch bundespolitischer Schlagzeilen sorgt, kommt auf sieben Prozent - drei Punkte weniger als zur Landtagswahl.

Wer in diesen Zahlen eine Wahrheit findet, die über mehr oder weniger belanglose Einschätzungen hinausreicht, ist ein Glückspilz. Ein wirklich spannender Ansatz, über Möglichkeiten und Grenzen linksreformerischer Politik zu diskutieren, steckt nicht darin.

Schade eigentlich. Denn es hat ja vor dem Hintergrund von (im weitesten Sinne verstanden) Regierungsbeteiligungen der PDS und später der Linkspartei in Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Brandenburg immer wieder den (sehr berechtigten) Appell gegeben, die Debatte wegzuholen von den hingehaltenen Stöckchen und Talkshow-Routinen. Sich nicht immer gleich an roten Haltelinien aufzustellen, an denen vor allem innerparteilicher Ausdruckstanz aufgeführt werden kann - von allen beteiligten Seiten übrigens.

Es ist darauf verwiesen worden, dass die Debatte über linkes Regieren unter den Bedingungen von Schuldenbremse, Landespolitik, Kompromissnotwendigkeit und den bürokratischen wie legislativen Hinterlassenschaften der Vorgänger kein politikwissenschaftliches Seminar bleiben darf und auch nicht bloß etwas für die Erregungsraster der veröffentlichten Meinung. Es wurde der Hoffnung Ausdruck verliehen, mehr dialektische Gelassenheit könne sowohl die Kritik von Regierungsbeteiligungen schärfen als auch den Erkenntnisgewinn über die Grenzen parlamentarischen Handelns erhöhen.

Nun ja. Wer ehrlich ist, wird Rainald Grebe erst einmal weiter im Recht sehen. Auch was die Diskussion über linksreformerisches Denken und eine politische Praxis innerhalb des System angeht. Es gibt sie freilich, die Bemühungen. Doch erst einmal bleibt Thüringen auch in dieser Frage »eines von den schwierigen Bundesländern«.

ps. Der Zweckoptimist in mir sagt: Nicht so schlimm, sind ja erst gut 100 Tage rum. Der Zweckpessimist hat sich Karfreitagmorgen einfach noch einmal die Decke über den Kopf gezogen. Man hat ein leises »Ja, ja« gehört.

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