Jenseits von Ebola

Die Leipziger Kinderärztin Sarah Bruckmann war für »Ärzte ohne Grenzen« ein halbes Jahr in Tschad

  • Heidrun Böger, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die westafrikanische Ebola-Epidemie ist derzeit in den Schlagzeilen, doch jenseits davon arbeiten medizinische Helfer in etwa 70 Staaten. Einer davon ist Tschad.

Als der kleine Ali ins Hospital kam, war er unterernährt, er litt an Malaria und extremer Anämie. Der Kleine würde sterben, wenn sich kein Spender mit passender Blutgruppe fände. Sarah Bruckmann setzte alle Hebel in Bewegung, bis sich ein Verwandter fand, dessen Blut passte. Der kleine Ali starb nicht wie so viele andere unterernährte Kinder in Tschad, Ali lebt. »Das sind die Augenblicke, für die ich als Ärztin arbeite«, sagt Sarah Bruckmann: »Wenn ein Kind zu uns kam, das sich kaum auf den Beinen halten konnte, und es mich nach ein paar Tagen anstrahlte, das waren die schönsten Momente.«

Die 31-Jährige Leipzigerin ist gerade aus Tschad zurück. Für »Ärzte ohne Grenzen« war sie dort sechs Momente im Einsatz. Gemeinsam mit 60 anderen Helfern - sowohl aus Tschad als auch aus anderen Ländern - half sie den Menschen in Bokoro, 400 Kilometer von der Hauptstadt N’Djamena entfernt.

Seit 1971 bietet die Organisation in medizinisch unterversorgten Weltregionen Nothilfe - mit derzeit fast 30 000 Beschäftigten, von denen etwa 2500 aus den »entwickelten« Ländern stammen. In 70 Staaten sind die Helfer aktiv; beherrscht wird die Wahrnehmung aktuell von Ebola in Westafrika. Tschad liegt in Zentralafrika und ist davon nicht betroffen. Doch ist auch hier medizinische Hilfe dringend vonnöten.

Das Einzugsgebiet des Hospitals in Bokoro, in dem Bruckmann arbeitete, erstreckt sich über 130 Kilometer und umfasst 250 000 Menschen. Letztes Jahr war die Ernte schlecht. Vor allem Kinder leiden darunter, viele sind unterernährt. Das schwächt ihre Abwehrkräfte. Bekommen sie dann eine Lungenentzündung, Malaria oder Durchfall, ist das lebensbedrohlich.

Sarah Bruckmann stammt ursprünglich aus Darmstadt, sie hat in Heidelberg Medizin studiert und macht gerade ihre Weiterbildung zur Kinderärztin an der Uniklinik in Leipzig. »Ich wollte schon immer als Ärztin in einem armen Land helfen, das ist für mich einer der Gründe, warum ich Medizin studiert habe.« Einen Teil ihres praktischen Jahres machte sie in Indien und Nepal.

In Bokoro war die Ärztin in einem Steinhaus mit Wellblechdach untergebracht, geduscht wurde kalt, Strom lieferte stundenweise ein Generator, es gab Telefon und Internet, wenn auch in schlechter Qualität. Gearbeitet wurde zehn Stunden am Tag: »Es ist erstaunlich, wie viel wir mit unserem einfachen Mitteln helfen konnten.« Mobile Teams versorgten die Familien im Einzugsgebiet ambulant. Waren die Kinder mangelernährt, erhielten sie eine Erdnusspaste, die alle wichtigen Nährstoffe und viele Kalorien enthält.

Kranke Kinder kamen mit ihrem Müttern ins Krankenhaus. Es gab drei Schlafsäle für jeweils 20 Kindern. Matratzen auf dem Boden, nur die nötigsten Medikamente. Die Behandlung war kostenlos, wie die drei warmen Mahlzeiten am Tag, die die Köchinnen über offenem Feuer zubereiteten. Der Stromgenerator wurde nur angeworfen, wenn das medizinisch notwendig war. In Bokoro gibt es nur Lehmhütten, Sand, ein paar wenige Gemüsestände mit Zwiebeln, Gurken und Bananen. »Es ist unglaublich karg«, sagt Bruckmann.

Die tschadischen Frauen arbeiten in der Hitze auf dem Feld, mit dem jüngsten Kind auf dem Rücken, das oft abends die erste Mahlzeit erhält. Wenn Essen da ist, isst zuerst der Mann. Viele Familien in dem muslimisch geprägten Land haben zehn oder zwölf Kinder. Die Frauen sind ungebildet, oft sehr jung. Häufig können die jungen Mütter wegen ihrer anderen Kinder zu Hause oder wegen der Arbeit auf den Feldern nicht mit ihrem kranken Kind im Hospital bleiben. Wenn möglich, wird eine Schwester, die Großmutter oder eine Nachbarin mit ins Krankenhaus geschickt. Um so weniger versteht die Ärztin, dass es überall ein Handy-Netz, Coca Cola und Nescafé gibt. »Obwohl für den Gegenwert einer Cola die ganze Familie eine Woche lang essen kann.«

Die Verständigung war schwierig, Sarah Bruckmann sprach mit den einheimischen Pflegekräften Französisch, diese übersetzten dann ins Arabische oder in eine der 120 Landessprachen. Sarah Bruckmann: »Zum Schluss konnte ich auf arabisch fragen, ob der Bauch weh tut oder ob das Kind Durchfall hat.«

Der Einsatz in der Ferne lässt die Ärztin auch die Heimat anders wahrnehmen: »Zurück in Deutschland kamen mir die Kinder hier moppelig vor, dabei waren sie normalgewichtig.«

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