Aufbegehren gegen Turboputzen

Mehr Quadratmeter für das gleiche Geld - für die Gebäudereiniger ist das Limit erreicht

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
In der kommenden Tarifrunde für die Gebäudereinigungsbranche setzt die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) neben Lohnerhöhungen auch auf bessere Arbeitsbedingungen.

Mit einem dicken Forderungskatalog geht die IG BAU in die noch im Frühjahr anstehenden Verhandlungen mit den Arbeitgebern. Für die Gebäudereiniger soll dabei ein deutliches Lohnplus herausspringen. Zusätzlich will die Gewerkschaft erreichen, dass die seit Jahren anhaltende und weiter zunehmende Arbeitshetze ein Ende hat.

So fordern die Beschäftigtenvertreter für die unterste Lohngruppe 1 in der Innenreinigung, die gleichzeitig die Referenzgruppe für den Branchenmindestlohn ist, ein Plus von 80 Cent pro Stunde. Damit würde der Stundenlohn in Westdeutschland von 9,55 Euro auf 10,35 Euro steigen. Für die Lohngruppen 2 bis 9 wird eine Steigerung von 6,4 Prozent gefordert. Auch der Lohnlücke zwischen Ost und West, die 25 Jahre nach dem Ende der DDR immer noch besteht, nimmt sich die Gewerkschaft an: Sie soll bis spätestens 2019 schrittweise geschlossen werden.

Dass die reine Lohnhöhe nur ein Element im sich anbahnenden Konflikt ist, macht Inge Bogatzki deutlich. Sie ist Betriebsrätin bei einer Bremer Gebäudereinigungsfirma und hat als stellvertretende Bundesfachgruppenvorsitzende der IG BAU für das Gebäudereinigerhandwerk die Tarifrunde mit vorbereitet. »Es gab in der Vergangenheit tolle Tarifabschlüsse, aber hinterher mussten die Beschäftigten dafür regelmäßig mehr reinigen«, so die Gewerkschafterin. »Bei dem extremen Leistungsdruck sind kleine Verschnaufpausen, Toilettengang, Kaffee- und Raucherpause eigentlich nicht drin.« Solche Umstände machten auf Dauer psychisch krank, warnt Bogatzki. »Man macht sich schon am Abend zu Hause seine Gedanken, ob man es am anderen Morgen überhaupt noch schafft.«

Die Gewerkschafterin sieht sich und ihre Kolleginnen und Kollegen in der Branche als Opfer einer »Geiz-ist geil-Mentalität«. So ließen Behörden und private Firmen bei der Ausschreibung von Reinigungsarbeiten vielfach nur noch den billigsten Anbieter zum Zuge kommen. »Billig geht nur auf unseren Knochen, weil die Fixkosten für Geräte und Reinigungsmittel vorgegeben sind«, sagt Bogatzki. Es sei an der Zeit, Arbeitgeber und Auftraggeber an ihre soziale Verantwortung zu erinnern und die »geballte Kraft« der Beschäftigten einzusetzen, um die Verhältnisse zu verändern. »Die Belegschaft wird es uns danken, wenn wir den angestrebten Tarifvertrag erreichen«, so die Gewerkschafterin.

Weil Zustände wie in Bremen bundesweit um sich gegriffen haben und die zeitlichen Vorgaben für Reinigungsarbeiten in Büros, Krankenhäusern und Betrieben aller Art auf Dauer auch von olympiareifen Putzkolonnen nicht zu bewältigen sind, setzt die IG BAU auf einen Tarifvertrag gegen Leistungsverdichtung und Turboputzen für die rund 600 000 Beschäftigten im Gebäudereinigerhandwerk. »Das Leistungslimit ist längst erreicht«, sagt das zuständige IG-BAU-Vorstandsmitglied Ulrike Laux. »Seit Jahren erhöhen Betriebe vor und nach Tarifrunden die zu putzende Fläche ohne Zeitausgleich oder müssen die Beschäftigten die gleichen Quadratmeter in kürzerer Zeit reinigen«, so Laux. Trotz guter Branchenentwicklung, steigender Umsätze und Gewinne bezahlten die Beschäftigten somit bislang ihr Lohnplus selbst. Sie dürften nun nicht weiter »im Job verschlissen werden.«

Ein Kernpunkt der angestrebten Vereinbarung mit dem Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks ist die Forderung nach einem Verzicht auf Zeitkürzungen und Reviererweiterungen vor und nach Tarifabschlüssen. »Der sogenannten Quadratmeterleistung sind körperliche Grenzen gesetzt«, sagt Laux. Ebenso drängt die Gewerkschaft auf eine tarifvertragliche Festschreibung von Ansprüchen der Beschäftigten auf bezahlte Einarbeitungszeiten, Gesundheitsschutz und Weiterbildung im operativen Geschäft.

Die Gebäudereinigung gehört im Organisationsbereich der IG BAU zu den Bereichen mit steigender Mitgliederzahl. Hier tummeln sich neben Großkonzernen wie Dussmann, Piepenbrock oder Wisag viele kleine und mittlere Betriebe, die um Aufträge von Behörden und Betrieben buhlen. Der anhaltende Aufstieg der Branche seit den 1990er Jahren ist vor allem eine Folge der Ausgliederung und Privatisierung von Tätigkeiten, die früher einmal in der Stammbelegschaft angesiedelt waren. Manager und Behördenleiter haben hier ein riesiges »Sparpotenzial« auf dem Rücken der betroffenen Beschäftigten entdeckt. Im öffentlichen Dienst gelten ältere Reinigungskräfte vielfach als »Auslaufmodelle« mit noch vergleichsweise erträglichen Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen und Rentenansprüchen.

In ihrem Standpunkt, dass abhängig Beschäftigte in der bundesdeutschen Arbeitswelt dem Arbeitgeber keine Dauerspitzenleistung auf olympischem Niveau schulden, sehen sich die IG-BAU-Gewerkschafter auch durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Januar 2008 bestätigt. Darin heißt es: »Der Arbeitnehmer schuldet eine Arbeitsleistung, die er bei angemessener Anspannung seiner individuellen Kräfte und Fähigkeiten erbringen kann, wozu eine Tätigkeit von mittlerer Art und Güte ausreicht.«

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