Aber in der Liebe nicht

Feinsinnig, ohne streberhaft beflissen mit Procedere und Technologien anzugeben: Matthias Dell über den Nürnberger Tatort: »Der Himmel ist ein Platz auf Erden«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Nürnberger »Tatort« ist sehr höflich, er stellt sich ausführlich vor. »Guten Tag, Voss« oder »Voss, freut mich«, sagt der gerade neu angekommene Kommissar mit Händedruck zu jedem in diese schicken weißen, Professionalität ausstrahlenden Ganzkörperanzügen gewandeten Kollegen, der schon im Wald bei der Leiche wartet. Sprachliches Nebenher, das im Alltag 90 Prozent der Kommunikation ausmacht, in Filmen aber aus erzählökonomischen Gründen zumeist nicht vorkommt.

Deshalb ist die Szene interessant. Sie steigt für einen Moment aus der Routine des Fernsehfilms aus, um konzeptkunsthaft-redundant die Banalität des Alltags zu ironisieren. Eine hübsche Irritation, die viel mit dem Spiel des Voss-Darstellers zu tun hat: Fabian Hinrichs strahlt eine sehr eigene Freundlichkeit aus, eine Freundlichkeit, an der etwas zu freundlich zu sein scheint, bei der man jedoch immer froh ist, dass es sie gibt, diese Freundlichkeit, weil sich dahinter etwas Kräftiges, Unheimliches, Abgründiges verbergen muss. Hinrichs ist ein Schauspieler, in dem sich das Komische und das Tragische »Gute Nacht« sagen, und zwar in alter Manier, also in einem tiefen Sinne. Man denkt deshalb öfter, der tut nur so. Beziehungsweise: der könnte auch noch was ganz anders tun.

Komisch und tragisch war Hinrichsens Rolle als überambitionierter, tödlich geendeter Assistent Gisbert in Alexander Adolphs legendärem Münchner »Tatort: Der tiefe Schlaf«, der zu der Geschichte des neuen, ersten Franken-»Tatort« (BR-Redaktion: Stephanie Heckner) dazu gehört – die Rolle des Felix Voss erfüllt dem Publikum auch den Wunsch, Gisbert irgendwie wiedersehen zu können. Und das »Guten Tag«-Gesage ließe sich durchaus als Zitat der »Servus, Servus«-Läufe lesen, mit den der Franz und der Ivo dereinst in den Wäldern vor München zu den Leichen vordrangen.

Wie »Der Himmel ist ein Platz auf Erden« überhaupt Andeutungen von Selbstreferentialität macht. Wenn sich Voss und seine Kollegin Ringelhahn über Herkünfte unterhalten, dann sprechen eigentlich Hinrichs und Dagmar Manzel über das, was man von ihnen vage biographisch weiß (er aus Hamburg, sie aus dem »Osten«), um die Hürden der Konstruktion schnell und unernst zu nehmen, die die Produktionsbedingungen von Deutschlands beliebtester Fernsehfilmreihe aufstellen: dass für die Hauptrollen im sich sorgsam am ARD-Föderalismus ausrichtenden Fernsehfilm natürlich trotzdem mit dem ortlos-prominenten Hochdeutsch aus der Hauptstadt besetzt werden.

Der Rest der Mannschaft (Eli Wasserscheid, Andreas Leopold Schadt, Matthias Egersdörfer) spricht Dialekt in einer, sagt der Außenstehende, gefällig verzögerten Weise, die das Ambivalente und Wunderliche des Settings hervortreten lässt, unterstützt von Kamera, Licht, Schnitt und Musik, die alle immer wieder das Realistische mit dem Künstliche kokettieren lassen. In der Inszenierung (Regie und Buch: Max Färberböck, Buch gemeinsam mit Catharina Schuchmann) von Arbeit ist dieser »Tatort« feinsinnig, ohne streberhaft beflissen mit Procedere und Technologien anzugeben.

Auch deshalb ist das »Guten Tag«-Gesage so sympathisch: Anders als meistens, also etwa in Berlin vor drei Wochen, werden nicht plumpe Gegensätze mit Problemen aufeinander gehetzt, sondern sind die Leute sich erstmal wohlgesonnen, haben Ringelhahn und Voss gute Laune, ist das cholerische Geschimpfe des Chefs (herrlich: Stefan Merki) viel mehr und differenzierter als das übliche blöd-verkniffene Oben, als das die subalterne Angestelltenseele im »Tatort« als Vorgesetzte serviert bekommt.

Schade ist deshalb lediglich, dass sich der Fall von »Der Himmel ist ein Platz auf Erden«, um den durchaus Gewese gemacht wird, am Ende als etwas plan darstellt, als verunglückte Eifersuchtsmathematik im bürgerlichen Milieu.

Und schade ist auch, dass die Befreiung von der Konvention, die Nürnberg eigentlich betreibt, nicht für alle gilt: Dass Manzels Ringelhahn ein Problem mit dem Schießen hat, dass sie zwischendurch trainieren soll und am Ende das Problem im Ernstfall nicht gelöst bekommt, ist viel zu eng gedacht für den luftigen, spielerischen Ansatz, den der neue Schauplatz verspricht. Horizontal zu erzählen, wie die Standardvokabel der jüngsten »Tatort«-Anfänge heißt, hieße in dieser freundlichen Gegend gerade auf das zu pfeifen, was anderswo die Reihe konstituiert: ein Motiv für eine Folge zu haben, dass sich auf (alle) Figuren erstreckt.

Immerhin ist der Showdown dann wieder übertrieben strange: Voss rennt den jungen Stutzer (sieht aus wieder kleine Bruder von Manuel Neuer: Dennis Mojen) zur Aufgabe.

Eine Frage, mit der man die nächste Gehaltsverhandlung eröffnen sollte:
»Wann haben sie das letzte Mal mit ihrem Mann geschlafen?«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Können sie mir sagen, warum ich immer auf so Leute wie Sie treffe?«

Eine Überlegung, mit der man in Banker-Kreisen Furore machen könnte:
»Kann es sein, dass sie die Demokratie zu ernst nehmen?«

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