»Wir stehen bei Amazon am Anfang«

Ver.di-Sekretär Stefan Najda über den Streik bei Onlinehändler und die Wichtigkeit von Tarifverträgen

  • Lesedauer: 4 Min.

Wie lange dauert der Arbeitskampf bei Amazon noch?

Der dauert so lange, bis wir einen Tarifvertrag mit Amazon abgeschlossen haben, in dem wir für die Beschäftigten schriftlich fixieren, was ihnen zusteht. Denn das geschieht bislang nach Gutdünken des Arbeitgebers. Wir haben Amazon an sieben Standorten, darunter bei der Firma LoveFilm in Elmshorn, dazu aufgefordert, mit uns Verhandlungen für einen Flächentarifvertrag des Einzel- und Versandhandels zu führen. Nur die Versandzentren Pforzheim und Brieselang stehen noch aus. Wir werden kämpfen, bis es überall einen Tarifvertrag gibt.

Wenn man sich ansieht, wie viele Streiktage es gegeben hat, sind Sie dem aber noch nicht viel näher gekommen.

Das stimmt nicht. Erst aufgrund der Streiks gab es unter anderem »freiwillige« Lohnerhöhungen, ein Weihnachtsgeld, das aber weit unter Tarif liegt, es wurden in den Hallen Klimaanlagen eingebaut, Wasserspender aufgestellt und wir haben mittlerweile überall Betriebsräte. Das ist ein Riesenerfolg, aber das Ziel bleibt ein Tarifvertrag.

Die Gewerkschaft ist also angekommen bei Amazon?

In Bad Hersfeld haben wir einen paritätischen Aufsichtsrat durchgesetzt, wie es das Gesetz vorsieht. Konzernchef Jeff Bezos und Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber sagen immer, ver.di sei jemand von außen. Doch viele Beschäftigte sind aktive ver.di-Kollegen, und im Aufsichtsrat in Bad Hersfeld sitzen zwei hauptamtliche Gewerkschafter mit am Tisch. Übrigens knöpfen wir uns Amazon als Ganzes vor, nicht nur die Versandzentren. Zuletzt wurde wie gesagt auch beim Streaming-Dienst LoveFilm, einer 100-prozentigen Amazon-Tochter, gestreikt.

Mit einem Tarifvertrag hat das aber nichts zu tun. Sitzt Amazon die Streiks aus?

Eines der größten Probleme ist, die meisten Beschäftigten sind befristet angestellt. Für eine Gewerkschaft ist es sehr schwer, Befristete zu organisieren und in den Arbeitskampf zu führen. Aber auch das gelingt uns immer wieder. Sie gehen mit raus, weil sie sagen: »Ich bin hier zu oft über den Tisch gezogen worden.« Natürlich versucht Amazon, mit den Befristungen die Organisierung der Kollegen zu erschweren. Wir haben es übrigens bei Amazon mit Beschäftigten aus 58 Nationen zu tun, die zwischen 18 und 72 Jahre alt sind und ganz unterschiedliche Hintergründe haben. Wir schreiben unsere Flugblätter in neun Sprachen. Wir müssen uns auf viele neue Situationen einstellen.

Wie wollen Sie Amazon bezwingen?

Wir haben eine Streikstrategie, aber da lasse ich mir nicht in die Karten schauen. Nur so viel: Für die KollegInnen in Leipzig und Bad Hersfeld war es eine unglaubliche Erleichterung, dass andere dazugekommen sind. Das, was bis jetzt in so kurzer Zeit erreicht wurde, haben sich die Beschäftigten selber kaum zugetraut. Auch Amazon hatte uns nicht auf dem Schirm. Ein Wort noch zur Strategie: Wir streiken jetzt auch aus dem laufenden Betrieb. Wenn die Waren für ein Paket fertig gesammelt sind, dann gehen die KollegInnen an der Packstation nach draußen - das kann das ganze System durcheinanderbringen.

Und das wirkt?

Amazon ist an vielen Orten ein Thema, ob am Stammtisch, im Bundestag oder auf den kommenden 1.-Mai-Demonstrationen. Es gibt Solidaritätsgruppen, die Warnstreiks bei der Post an Ostern haben auch den Streikenden bei Amazon geholfen. Außerdem merken wir an Lieferverzögerungen und an dem, was in den Versandzentren liegen bleibt, dass die Streiks wirken - auch wenn Amazon das bestreitet.

Zurück zu Frage eins: Wie lange dauert der Arbeitskampf noch?

Wir stehen bei Amazon am Anfang. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hat erklärt, die Auseinandersetzung mit Amazon sei eine der gesamten Organisation, eine mittel- bis langfristige Auseinandersetzung. Vor dem Arbeitskampf steht immer das kleine Einmaleins der Gewerkschaftsarbeit: Wir brauchen Strukturen. Die haben wir zum Teil, zum Teil bauen wir sie weiter auf. Bei Ikea haben wir sieben Jahre bis zu einem Tarifvertrag gebraucht, wir haben H&M in die Tarifbindung bekommen. Amazon krempelt nicht nur die komplette Handelsbranche um. Deshalb ist ein Tarifvertrag so enorm wichtig. Wir können nicht zulassen, dass ein US-amerikanisches Unternehmen hier tun und lassen kann, was es will.

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