Blätterfall besser als Dauerschall

Am Tag des Lärms machen Experten auf die Gesundheitsgefahren für Kinder durch Lärm aufmerksam

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Lärm schädigt nicht nur das Gehör. Er kann auch Herz und Psyche krank machen, wirkt er doch trotz akustischer Gewöhnung unbewusst weiter auf den Körper.

Ruhe ist bereits ein exotisches Gut. Kaum auszuhalten wäre so ein Frühlingstag im Freien, nur mit dem Gezwitscher der Vögel. Meist ist das nur ein Moment, dann wird ein Rasenmäher angeworfen oder beim Nachbarn mit Getöse das Dach gereinigt. Auf der anderen Straßenseite steigt der Geräuschpegel am Grill kontinuierlich an, Musikboxen werden auf die Terrasse geschleppt. Hits der 80er beschallen die Umgebung. Eine Geburtstagsfeier drei Straßen weiter kann zu mitternächtlicher Stunde nur angemessen mit einem Privatfeuerwerk beendet werden. So sieht die Freizeit aus, in der sich der Mensch vom Arbeitskrach erholen sollte.

Lärm stört, macht Kopfschmerzen und auch richtig krank. Dabei ist das Maß, ab wann Geräusche als unangenehm empfunden werden, sehr subjektiv. Beim einen löst eine bestimmte Musik Begeisterung aus, für den anderen ist sie Krach. Eine Schädigung des Gehörs kann aber in beiden Fällen eintreten. Unser Gehirn bewertet Geräuschquellen nach ihrer Wichtigkeit - und menschliche Gespräche sind auf jeden Fall wichtig. Daraus resultiert mitunter das Nicht-Weghören-Können, wenn sich eine Sitznachbarin in der U-Bahn über ihre Beziehungskrise auslässt. Auch wenn wir es gar nicht wissen wollen, können wir die Ohren nicht zuklappen, bestenfalls zustopfen oder versuchen, diese Geräuschquelle mit einer anderen zu überdecken.

15 000 Haarzellen im Innenohr sorgen dafür, dass wir unsere Umgebung akustisch ständig wahrnehmen. Ohne Pause werden die Signale an das Gehirn weitergeleitet. Kommt mehr Lärm in den Hörzellen an, als sie verarbeiten können, schalten sie automatisch herunter. Die sogenannte Hörschwelle wird verschoben - nur zeitweilig, oder es kommt zum dauerhaften Hörverlust. Der Mensch kann ab etwa einem Dezibel Geräusche wahrnehmen - ein raschelndes Blatt erzeugt einen Schalldruck von etwa 10 Dezibel. Das Hörvermögen des Menschen wandelt sich im Laufe des Lebens - Schall ist für uns von 20 Hertz (Hz) bis maximal 20 Kilohertz (kHz) wahrzunehmen, letztere Frequenz können allerdings nur Kinder hören. Bei Erwachsen liegt die Grenze zwischen 16 und 18 kHz. Die Lautstärkeempfindlichkeit von Katzen ist viermal so groß wie die des Menschen - sie reicht bis zu 60 KHz.

Nachts macht uns Lärm besonders zu schaffen. Das Gehör ist empfindlicher, leiseste Geräusche stören. Das kann bei einer bestimmten Grundnervosität schon die antike Wanduhr des Nachbarn sein. Prinzipiell können Schallwellen ab 85 Dezibel Gehörzellen schwächen oder zerstören - in einer Diskothek oder im Konzertsaal ist mit 110 Dezibel zu rechnen; Kettensägen, Presslufthammer und Donner bringen es auf 120 Dezibel.

Nach früheren Umfragen fühlt sich die Hälfte der Deutschen durch Lärm aus dem Straßenverkehr gestört, es folgen Flugzeuge und Züge, danach Baustellen, Sportanlagen und Nachbarn. Akute Hörschäden wie Schwerhörigkeit oder ein Tinnitus können schon durch ein kurzes Geräusch ab etwa 120 Dezibel ausgelöst werden. Gefährlich ist aber auch dauerhafter Lärm bei einem geringen Pegel ab etwa 80 Dezibel - zum Beispiel täglich am Arbeitsplatz. Rund fünf Millionen Menschen sind in Deutschland an ihren Arbeitsplätzen gefährlichem Lärm ausgesetzt. Auf dem Bau und bei Berufsmusikern ist Schwerhörigkeit die häufigste Berufskrankheit.

Insgesamt werden den Berufsgenossenschaften jährlich 12 000 neue Fälle »lärmbedingter Schwerhörigkeit« signalisiert. Zur direkten Schädigung der Ohren kommen die Folgen für die Psyche. Krach löst Stress aus: Hormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet - Blutdruck und Puls steigen, die Blutgerinnung wird aktiviert. Zu den psychischen Folgen gehören Konzentrationsmangel, Lernbehinderungen bei Kindern und Schlafstörungen. Schätzungen zufolge sind jährlich 4000 Herzinfarkte auf Straßenverkehrslärm zurückzuführen. Betroffen von Schwerhörigkeit ist in der Bundesrepublik jeder 15., ab dem 65. Lebensjahr sogar jeder zweite Mann und jede dritte Frau. Außerdem hören bereits 15 Prozent der Jugendlichen nur noch so gut wie 50-Jährige.

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