»Offene Wunde« der israelischen Gesellschaft

Äthiopischstämmige Juden wehren sich mit Protesten gegen diskriminierende Behandlung

  • Jean-Luc Renaudie, Jerusalem
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach gewaltsamen Protesten gegen Rassismus in Israel hat Staatspräsident Reuven Rivlin Fehler im Umgang mit äthiopischstämmigen Juden eingeräumt.

»Wir haben Fehler gemacht«, erklärte Israels Präsident Rivlin am Montag. »Wir haben nicht genau genug hingesehen und nicht genau genug zugehört.« Am Sonntagabend war in Tel Aviv eine Demonstration von Juden äthiopischer Herkunft eskaliert, die seit Tagen gegen Rassismus und Polizeigewalt in Israel auf die Straße gehen. Die gewaltsamen Proteste der vergangenen Tage hätten gezeigt, dass es »im Herzen des israelischen Gesellschaft« eine »offene Wunde« gebe, erklärte Rivlin.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte bereits am Sonntagabend zugesagt, alle Vorwürfe gegen die Polizei würden geprüft. Gewalt werde aber nicht akzeptiert. Drei Tage nach ähnlichen Ausschreitungen in Jerusalem hatten sich am Sonntag Teilnehmer eines Protestmarschs in Tel Aviv Straßenschlachten mit Sicherheitskräften geliefert. Die Polizei setzte Blendgranaten und Wasserwerfer ein, Demonstranten warfen Steine und Flaschen auf Polizisten. Nach Angaben einer Polizeisprecherin wurden 55 Polizisten und zwölf Demonstranten verletzt, 43 Demonstranten wurden festgenommen.

Auslöser der Proteste war ein Video, auf dem zu sehen ist, wie zwei Polizisten den äthiopischstämmigen Soldaten Damas Pakada verprügeln. Für zusätzliche Empörung sorgten Medienberichte über einen Übergriff auf einen Israeli äthiopischer Herkunft in der südisraelischen Stadt Beerscheba. Der Mann gab an, von Beamten der Einwanderungsbehörde angegriffen worden zu sein, weil sie ihn für einen Einwanderer ohne gültige Papiere hielten. In Israel leben mehr als 135 000 Juden äthiopischer Herkunft, die vor allem in zwei Einwanderungswellen der Jahre 1984 und 1991 ins Land kamen. Bis heute sind die meisten von ihnen nicht in die israelische Gesellschaft integriert.

Die Demonstranten in Tel Aviv forderten nun gleiche Rechte für alle und die Bestrafung gewalttätiger Polizisten. Medien berichteten unter Berufung auf die Veranstalter von rund 10 000 Teilnehmern, laut Polizei waren es 3000. Die Demonstranten blockierten zunächst während des Berufsverkehrs eine wichtige Straße und lösten damit Staus aus. Dann marschierten sie durch die Innenstadt von Tel Aviv. Viele Teilnehmer reckten ihre Arme über Kreuz in die Luft, als steckten sie in Handschellen.

Am Rathaus von Tel Aviv eskalierte die Lage dann: Berittene Polizisten setzten Blendgranaten ein, um die Menge zu zerstreuen und von einem Sturm auf das Rathaus abzuhalten. Um Demonstranten aus den umliegenden Straßen zu vertreiben, setzte die Polizei zudem Wasserwerfer und Pfefferspray ein.

Erst am Donnerstag war eine ähnliche Demonstration mit rund 2000 Teilnehmern in Jerusalem in Gewalt umgeschlagen, es gab ebenfalls Verletzte und Festnahmen. Für Montag hatten die Veranstalter eine weitere Demonstration vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Netanjahu in Jerusalem angekündigt. Schon vorher zog Polizei zahlreich auf und sperrte mehrere Straßen ab.

Regierungschef Netanjahu hatte zugesagt, sich mit dem misshandelten Soldaten Pakada und anderen Vertretern der äthiopischen Gemeinde zu treffen. Pakada hatte am Sonntag im Armeeradio erklärt, dass er gegen Gewalt sei. »Aber die Stimme unserer Gemeinde muss gehört werden«, betonte er. AFP

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