LINKE will de Maizière und Steinmeier vorladen

Merkel: Geheimdienste brauchen politische Rückendeckung / Unionspolitiker über SPD-Äußerungen empört: Gabriel wegen »unlauterer Angriffe« auf Merkel kritisiert / Bericht: NSA spionierte bis August 2013 deutsche Ziele aus

  • Lesedauer: 6 Min.

Update 16.25 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnt mehr Verständnis für die Arbeit von Geheimdiensten an. Nachrichtendienste müssten mit politischer Rückendeckung arbeiten, sagte die CDU-Vorsitzende nach Teilnehmerangaben am Dienstag in einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Die deutschen Behörden könnten nicht allein den Schutz der Bürger sicherstellen. Der Grundgedanke für die Kooperation des BND mit dem US-Geheimdienst NSA gehe vor allem auf die Anschläge vom 11. September 2001 auf die USA zurück. Drei der Attentäter hatten in Deutschland gelebt.

Merkel betonte, natürlich dürfe der Bundesnachrichtendienst nicht gegen deutsches Recht verstoßen. Im Bundestag wird geprüft, ob der BND der NSA half, Politiker und Firmen in Europa auszuspähen - das wäre mit deutschem Recht nicht vereinbar.

Update 14.15 Uhr: In der Spitzelaffäre um den BND will die Linkspartei in den kommenden Tagen führenden Politikern der großen Koalition auf den Zahn fühlen. Für Freitag beantragte sie eine Sondersitzung des Untersuchungsausschusses im Bundestag, bei der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Rede und Antwort stehen sollen, wie die LINKEN-Abgeordnete Martina Renner am Dienstag sagte.

Bei einer weiteren Sondersitzung am Mittwoch kommender Woche sollen dann nach Vorstellung der Linken Kanzleramtsminister Peter Altmaier und dessen Vorgänger Ronald Pofalla (beide CDU) zu ihren Kenntnissen über die Geheimdienstkooperation zwischen dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem US-Dienst NSA befragt werden. Renner sprach von einer »Woche der Aufklärung«, in der die Regierung über ihr Wissen Auskunft geben müsse.

Ob die Sondersitzungen tatsächlich zu den genannten Terminen einberufen werden, dürfte sich am Mittwoch bei einem Treffen der Ausschuss-Obleute aus den Fraktionen entscheiden. Zwar kann die Opposition im Untersuchungsausschuss auch mit einer Minderheit der Stimmen eine Sondersitzung einberufen; den Termin legt aber der Ausschussvorsitzende in Abstimmung mit der Bundestagsspitze fest. Vorsitzender ist der CDU-Politiker Patrick Sensburg.

Bei der Aufklärung der Affäre geht es derzeit vor allem um die Frage, ab wann das Kanzleramt in die Details der Zusammenarbeit zwischen BND und NSA eingeweiht war. Dabei geht es auch um den von der Opposition geäußerten Verdacht, dass das Amt rechtswidrige Abhörpraktiken zugelassen und dem Parlament verschwiegen habe.

Bei der regulären Sitzung des Untersuchungsausschusses am Donnerstag sollen mehrere BND-Mitarbeiter Auskunft über diese Zusammenarbeit geben. Im Mittelpunkt stehen dabei die so genannten Selektoren. Dies sind Suchkriterien, die vom NSA an den BND geliefert und bei der geheimdienstlichen Überwachung angewendet wurden.

Große BND-Affäre spaltet Große Koalition

Berlin. Die Affäre um die Beihilfe des Geheimdienst BND bei offenbar illegalen Spionageaktivitäten der NSA wird zur Belastungsprobe für die Große Koalition. Die Kritik der SPD sorgt in den Reihen der Union für Verärgerung.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), empörte sich, SPD-Chef Sigmar Gabriel müsse sich »mit seinen unlauteren Angriffen auf die BND-Spitze und die Bundeskanzlerin zurückhalten«. Der »Bild«-Zeitung sagte er, es sei eine Tatsache, dass die enge Zusammenarbeit zwischen dem BND und der NSA unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder und seinem damaligen Kanzleramtschef, dem heutigen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), besiegelt worden sei. »Das können die beiden gerne unter Eid vor dem Untersuchungsausschuss erklären«, fügte Mayer hinzu.

Gabriel hatte zuvor erklärt, die BND-Affäre sei »ein Geheimdienstskandal, der geeignet ist, eine sehr schwere Erschütterung auszulösen«. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hatte schon kurz nach Bekanntwerden der Affäre über personelle Konsequenzen spekuliert. Medienberichten zufolge half der Bundesnachrichtendienst (BND) der NSA jahrelang dabei, unter anderem die französische Regierung und die EU-Kommission sowie europäische Konzerne auszuspionieren.

»Zur Dramatisierung der Diskussion besteht kein Anlass«, sagte nun der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl (CDU) »Spiegel Online«. Der Bundesinnenminister habe erklärt, dass er das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestag an diesem Mittwoch informieren werde. »Dies sollte abgewartet werden, ohne jetzt parteipolitische Vorteile zu suchen.«

Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Patrick Sensburg (CDU), forderte mehr Sachlichkeit von der SPD. »Ich wundere mich manchmal, wie man unter Koalitionspartnern miteinander umgeht«, wurde er am Dienstag auf »Spiegel Online« zitiert. Die SPD scheine »derzeit die übliche professionelle Form der Zurückhaltung aufgegeben zu haben«. »Äußerungen wie etwa von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi finde ich schade«, sagte Sensburg. Auf dem Höhepunkt der Affäre um die mögliche Weitergabe vertraulicher Ermittlungsdetails zu Kinderpornografie-Vorwürfen gegen den SPD-Politiker Sebastian Edathy habe die Union »schließlich auch nicht mit Rücktrittsforderungen um sich geworfen«.

Die CDU-Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss, Nina Warken, kritisierte auf »Spiegel Online« Rufe nach personellen Konsequenzen. »Da wundert man sich schon. Auf mich wirken solche Forderungen wie Effekthascherei, sie haben mit Sachkenntnis wenig zu tun«, sagte Warken. Eine vorzeitige Zeugenvernehmung von Mitgliedern der Bundesregierung lehnten beide CDU-Abgeordneten ab. »Ohne vorherige entsprechende Akteneinsicht nützen uns auch die prominentesten Zeugen nichts«, sagte Sensburg. »Wenn wir jetzt wichtige Zeugenvernehmungen aus der politischen Führungsebene vorzögen, wäre das überhaupt nicht sachdienlich«, warnte Warken.

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Tankred Schipanski, Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss, mahnte in der »Mitteldeutschen Zeitung« zur Zurückhaltung: »Bei nüchterner Betrachtung der dem Untersuchungsausschuss derzeit vorliegenden Akten lässt sich die Schwere der öffentlichen Vorwürfe nicht nachvollziehen.« Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer nahm den in der Kritik stehenden früheren Kanzleramtschef Thomas de Maizière (beide CDU) in Schutz. »Dass Thomas de Maizière bewusst das Parlament belogen hat, kann ich mir nicht vorstellen«, sagte sie der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.

Allerdings wird aus der SPD weiter gefordert, dass die Bundesregierung mehr Aufklärung leisten und zum Beispiel bis zum Donnerstag dem NSA-Untersuchungsausschuss die Liste mit den Suchkriterien der NSA für den BND übergeben müsse. »Das Kanzleramt hat eine eigene souveräne Entscheidung zu treffen. Die kann nur lauten, die Liste vorzulegen«, sagte der SPD-Obmann im Ausschuss, Christian Flisek, der »Passauer Neuen Presse«.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Schipanski wandte sich gegen die Veröffentlichung der Selektorenlisten des US-Geheimdienstes NSA. »Die in der medialen Berichterstattung erwähnten Selektorenlisten sind sicherheitspolitisch hoch sensibel«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«. Der Erkenntnisgewinn müsse »hierbei auch mit dem Preis des Geheimnisverrats abgewogen werden«.

Die Bundesregierung hat derweil laut einem Medienbericht in einem Geheimpapier bestätigt, dass der US-Geheimdienst NSA mindestens bis August 2013 deutsche und europäische Ziele ausgespäht habe. Das ZDF-Politmagazin »Frontal21« konnte das Papier vom Montag nach eigenen Angaben einsehen. Demnach stellte der Bundesnachrichtendienst (BND) noch am 26. August 2013 fest, dass die NSA aktuelle Mail-Adressen von europäischen Politikern, Ministerien europäischer Mitgliedsstaaten, EU-Institutionen, aber auch Vertretungen deutscher Firmen ausspähe. Die amerikanische Spionage-Praxis habe gegen deutsche Interessen verstoßen, werde in dem Papier eingeräumt.

Schon das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« und die »Bild am Sonntag« hatten in ihren jüngsten Ausgaben gemeldet, der BND sei im August 2013 auf mehrere Tausend Selektoren gestoßen, mit denen die NSA Diplomaten und Mitarbeiter europäischer Regierungen habe ausforschen wollen - unter anderem in Österreich. Der BND soll die Begriffe daraufhin aus der aktiven Suche herausgenommen haben. Agenturen/nd

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