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  • 5. Special Olympics National Games

»Breitensport im Vordergrund«

Thomas Reinecke, National Director von Special Olympics Deutschland

  • Lesedauer: 4 Min.
Thomas Reinecke (53) ist seit einem Jahr National Director von Special Olympics Deutschland (SOD) e.V. Diese Organisation umfasst rund 30 000 Mitglieder aus 500 Mitgliedsorganisationen, was überwiegend Behinderteneinrichtungen sind. Vor der Eröffnungsshow der 5. Special Olympics National Games, den nationalen Spielen der geistig und mehrfach behinderten Athleten, gestern in der Berliner Schmeling-Halle sprach JÜRGEN HOLZ mit dem SOD-Direktor.
ND: Welche Erwartungen haben Sie an die Nationalen Spiele, die nach 2000 zum zweiten Mal in Berlin stattfinden?
Reinecke: Wir wollen den geistig behinderten Athleten ein besonderes Sportforum bieten und demonstrieren, wozu diese Sportler fähig sind. Gleichzeitig würden wir uns freuen, wenn durch die Spiele die Bevölkerung näher an Menschen mit einer Behinderung herangeführt wird und Berührungsängste abgebaut werden.

Was verbirgt sich konkret hinter den Spielen?
Sie finden alle zwei Jahre im Wechsel von Sommer- und Wintersportarten statt. In Berlin sind es die 5. Sommerspiele in Deutschland, bei denen 2726 Athleten an den Start gehen. Die Spiele dienen gleichzeitig als Qualifikation für die Special Olympics World Games im Oktober 2007 in Shanghai. An den Weltspielen nimmt Deutschland seit 1989 regelmäßig teil, zuletzt 2003 in Dublin mit 167 Athleten. In Shanghai werden es 237 Athleten sein. Die Nationalen Winterspiele finden übrigens im Februar 2007 in Oberhof statt.

Zwölf Wettbewerbs- und drei Demonstrationssportarten gibt es diesmal. Was ist Kriterium, um berücksichtigt zu werden?
Wir orientieren uns im Wesentlichen am Programm der Weltspiele mit 21 Sportarten. Was bei uns heute »nur« demonstriert wird, hat die Chance, morgen ins Vollprogramm aufzurücken - vorausgesetzt, die Sportart wird nicht nur von einigen Wenigen betrieben.

Und wer darf teilnehmen?
Bis auf das so genannte »Unified Programm«, bei dem Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam starten, ist sonst eine festgestellte geistige Behinderung Voraussetzung. Generell führt der Weg über lokale und regionale Wettbewerbe in drei verschiedenen Leistungsgruppen. Die genaue Klassifizierung erfolgt nach »Probedurchlauf« in Berlin vor dem eigentlichen Beginn der Wettbewerbe.

Ist auch eine medizinische Indikation hinsichtlich der geistigen Behinderung erforderlich?
Ja, und wir haben erfahrungsgemäß damit fast keine Probleme. Der Nachweis ist auch deswegen notwendig, weil Lernbehinderte nicht startberechtigt sind.

Den weniger leistungsstarken Athleten wird ein wettbewerbsfreies Angebot unterbreitet. Was steckt dahinter?
Es richtet sich an Athleten, die auf Grund ihrer Behinderung die Wettkampfregeln nicht verstehen. Sie erhalten eine »Laufkarte«, auf der zehn einfache Übungen vorgegeben sind. Mindestens sechs davon müssen sie erfüllen, um eine Medaille und Urkunde zu erhalten.

Welche Absicht verfolgen Sie mit dem Familienprogramm?
Das bieten wir in Berlin erstmals an. Über 600 Familienangehörige haben sich dafür angemeldet. Mit Vorträgen, Informationsveranstaltungen und Diskussionen wollen wir ein Netzwerk schaffen, um Familien mit geistig Behinderten aus ihrer Isolation zu führen.

Worin unterscheidet Ihre Organisation vom Deutschen Behinderten-Sportverband (DBS)?
Unsere sportliche Philosophie orientiert sich hauptsächlich am Breitensport für eine kleine, spezielle Gruppe geistig Behinderter, während beim DBS, wo die geistig Behinderten ja nur ein Teil sind, der Leistungssport stärker im Vordergrund steht. Ausdruck dafür sind auch die Paralympics. Doch es ist nicht unproblematisch, das Leistungsniveau genau zu definieren. Natürlich geht es auch bei uns ums Gewinnen, aber eben nicht um ausgesprochene Topleistungen. Special Olympics Deutschland bietet daher nicht nur den etwa zwei Prozent Topathleten unter den geistig Behinderten eine sportliche Heimat, sondern vor allem den anderen 98 Prozent. Im Gegensatz zum DBS gehören wir auch nicht dem Deutschen Olympischen Sportbund an. Aber wir stehen mit dem DOSB in Verhandlungen über eine Aufnahme.

Wie finanziert sich Special Olympics Deutschland?
Zum geringen Teil aus Mitgliedsbeiträgen, vor allem aber über Spenden und Sponsoring. Bei internationalen Starts unterstützt uns das Bundesinnenministerium.


 Die viertägigen 5. Special Olympics National Games für Athleten mit geistiger Behinderung, die am Dienstag in Berlin begonnen haben, stehen unter dem Motto »Dein Herz gewinnt!«
 Nach jüngsten Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit etwa 156 Millionen Menschen geistig behindert. Das sind drei Prozent der Weltbevölkerung. Von ihnen trainieren 2,25 Millionen nach dem einheitlichen Regelwerk der Special Olympics.
 An den Nationalen Spielen in Berlin (Gesamtetat 600 000 Euro) nehmen 2726 Sportlerinnen und Sportler teil. Sie werden von 1000 Helfern unterstützt.
 In den 15 olympischen Disziplinen treten Teilnehmer aus 14 Bundesländern und fünf ausländischen Gastdelegationen (Polen, Italien, Großbritannien, Israel und USA) an.
 Die größten Teilnehmerquoten gibt es im Schwimmen (716), gefolgt von Leichtathletik (646) und Tischtennis (345). Das zahlenmäßig stärkste Team kommt aus Bayern (486).
 Auf dem Programm stehen die zwölf Wettbewerbssportarten Badminton, Basketball, Boccia, Bowling, Judo, Leichtathletik, Radfahren, Reiten/Voltigieren, Roller-Skating, Schwimmen, Tennis und Tischtennis sowie die Demonstrationssportarten Gewichtheben, Golf und Kanu.
 Wettkampfstätten sind Jahn-Sportpark, Schmeling-Halle, Europasportpark, Big-Bowl-Halle, Reitanlage im Olympiastadion, Olympischer Platz, Golf-Resort Pankow, Regattastrecke Grünau.
 1000 Teilnehmer nutzen die so genannten wettbewerbsfreien Angebote im Jahn-Sportpark.
Neu ist in diesem Jahr ein umfangreiches »Healthy Athletes«- Programm, bei dem die Athleten von Klinikärzten in der Schmeling-Halle untersucht werden.
 Bundespräsident Horst Köhler ist Schirmherr der bisher teilnehmerstärksten nationalen Nominierungsspiele für die Special Olympics World Games 2007 in Shanghai. joh
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