Ich lüge nicht

Dem Theaterwissenschaftler Max Herrmann zum 150. - Feierstunde in der Stabi

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 3 Min.

»Man soll sich nicht ängstigen in der Welt.« Diese Devise aus Gerhart Hauptmanns »Michael Kramer« avancierte zum Lebensmotto von Max Hermann. Doch der Satz erwies sich ab 1933 für den Juden als wenig hilfreich. Der in den 1920er Jahren hochgeschätzte Doyen der deutschen Theaterwissenschaft - mit knapp 65 Jahren endlich zum ordentlichen Professor der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität ernannt -, war unter den Repressalien der Nazidiktatur zu einem Schattendasein verdammt.

In treuherziger Verkennung des Ernstes der Lage appellierte er im Mai 1933 angesichts einer perfiden antisemitischen Plakataktion an den preußischen Kultusminister Rust, ihn »auf kurze Zeit zu beurlauben«. Keineswegs könne er Verdikte billigen wie »Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er.« Er stufte derlei Parolen als ephemer ein und hielt trotzig dagegen: »Ich schreibe deutsch, ich denke deutsch, ich fühle deutsch, und ich lüge nicht.« Eindrücklich rezitierte die Schauspielerin Martina Gedeck in der Gedenkveranstaltung zu Hermanns 150. Geburtstag im Dietrich-Bonhoeffer-Saal der Staatsbibliothek Sätze wie diese. Genutzt haben sie Hermann nichts. Die Nazis transportierten ihn 1942 mit seiner Frau nach Theresienstadt, wo er wenige Wochen später umkam.

Auf Initiative von Heinz Knobloch verleiht der Verein der Freunde der Berliner Staatsbibliothek seit 2000 jeweils am 10. Mai - dem Jahrestag der Bücherverbrennung - den Max-Hermann-Preis. Gewürdigt werden damit Persönlichkeiten, die sich um das Bibliothekswesen oder die Berliner »Stabi« verdient gemacht haben. Paul Raabe, Günter de Bruyn oder Micha Ullman zählten zu den Preisträgern. In diesem Jahr aber galt die Feierstunde dem Namenspaten selbst, der am 14. Mai 1865 geboren wurde. Übrigens wurde bereits zu DDR-Zeiten ein Max-Hermann-Preis verliehen, der besonders engagierte Mitarbeiter der Deutschen Staatsbibliothek auszeichnete.

Auf die wegweisenden Erkenntnisse Max Hermanns wies Erika Fischer-Lichte in ihrem Festvortrag hin - als Theaterwissenschaftlerin der FU Berlin quasi eine »Enkelin« des Nestors. Bereits 1900 hielt Hermann erste Vorlesungen zur Theatergeschichte an der Berliner Universität. Doch erst 1923 etablierte sich ein theaterwissenschaftliches Institut. Zeitlebens trat Hermann ein für die Emanzipation der Theaterwissenschaft von der Germanistik. Revolutionär sei Hermanns Unterscheidung gewesen von »Drama« als wortkünstlerischer Leistung des Einzelnen einerseits und »Theater« als Interaktion zwischen Bühnenaufführung und Publikum andererseits.

Mit einem Sensationsfund suchte Hermann 1904 in der Germanistik zu reüssieren: Während einer Abendgesellschaft unterbreitete man ihm in einem betagten Buch die vorgebliche und überdies datierte Originalhandschrift von Luthers wohl berühmtestem Lied »Ein feste Burg ist unser Gott«. Im damals stark protestantisch geprägten Berlin wäre eine solche Entdeckung ein Paukenschlag gewesen!

Doch der gewiefte Philologe unterzog das gute Stück einer peniblen Analyse - und konnte nachweisen, dass die benutzte Tinte 1527 nicht zum Einsatz kam und auch die Unterschrift Luthers gefälscht war. Besonders suspekt erschien Hermann die ungleiche Verteilung der Wurmlöcher, die sich einzig auf der Lied-Seite konzentrierten: »Ganz ausgeschlossen ist es, dass sich die Würmer nur auf dieses kostbare Blatt Appetit gehabt und das übrige Buch verschmäht haben sollen«, bemerkte er süffisant.

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