Wenn’s in der Fankurve mal langweilig wird

»Wer erfand den Übersteiger?« ist mit den erhellenden Antworten auf 106 skurrile Fragen das perfekte Fußballbuch für zwischendurch

  • Hajo Obuchoff
  • Lesedauer: 5 Min.
Wer schon immer ahnte, dass Roger Milla nie der älteste Nationalspieler war, findet sich in diesem Buch endlich bestätigt.

Wer war der erste deutsche Fußballprofi oder was war der merkwürdigste Grund für einen Platzverweis? Solche und ähnliche Fragen werden in dem Buch von Uli Hesse und Paul Simpson »Wer erfand den Übersteiger« beantwortet. Das kleine Werk mit seinen mehr oder weniger kurzen Geschichten ist ideal geeignet, um es in der S-Bahn zu konsumieren oder in anderen begrenzten Zeiträumen, die ansonsten eher unproduktiv vergehen. Natürlich dürften die in diesem Paperback-Band aufgeworfenen Fragen, vor allem Lesefreunde interessieren, denen sportliche Themen, speziell der Fußball nicht fremd sind. Als Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk oder einfach als nette Gabe außerhalb der Reihe sollte die Zielgruppe also in diesen Kreisen zu suchen sein.

Fragen wie die im Buchtitel oder nach dem ersten deutschen Fußballprofi, wer versuchte sich als erster am Fallrückzieher oder in welcher taktischen Formation siegten die nordkoreanischen Kicker bei der WM 1966 gegen Italien sind für Fußballfans gewiss spannend. Aber kaum einer kann sie auf Anhieb beantworten. Kandidaten bei Günter Jauch, Jörg Pilawa oder anderen Quizmeistern könnten durchaus einmal vor solchen Fragen stehen. Gut, wer hat schon diese Chance? Egal, auf jeden Fall sind die Antworten in diesem Büchlein zu finden und noch dazu amüsant zu lesen. Und mal so eine Frage auf der Stehplatztribüne unters Fanvolk zu werfen, dürfte gewiss witzig sein.

Die beiden Autoren jedenfalls haben gründlich recherchiert. Und wie das oft so ist, wenn man Fragen auf den Grund geht, gibt es nicht immer eindeutige Antworten.

Zum Beispiel verbreiteten viele Nachrichtenagenturen im Frühjahr 2014, dass am 13. April 2014 in der Nationalmannschaft von Mauritius mit Kersley Appou der älteste bekannte Fußball-Nationalspieler aufgelaufen sei und somit den bisherigen Rekordhalter Roger Milla aus Kamerun abgelöst hätte, der 1994 als 42-Jähriger nach der WM die Töppen an den Nagel gehängt hatte. Appou war an jenem Tag 43 Jahre und 354 Tage alt. Die BBC indes wusste, dass den wirklichen Weltrekord ein Balltreter von den Amerikanischen Jungferninseln hielt: MacDonald Taylor senior sei 2004 noch mit 46 Jahren und 217 Tagen für sein Land auf dem grünen Rasen umhergelaufen.

Aber auch die BBC irrte, wie unsere beiden Autoren in detektivischer Kleinarbeit herausfanden. Demnach gäbe es sogar noch mehrere Kicker, die vor den genannten liegen. Einer davon ist der Grieche Georgios Loudas, der am 20. September 1995 sein 43. und damit letztes Länderspiel im Alter von 58 Jahren und 301 Tagen bestritt. Aber auch um diesen eventuellen Rekordhalter wird noch gestritten. Denn es gibt noch einen Bewerber als ältesten Nationalkicker. Warum der nicht anerkannt ist, soll an dieser Stelle gemeinerweise mal offen gelassen werden. Es handelt sich jedenfalls nicht um Lodda Matthäus, der ist mit 39 Jahren zwar der älteste deutsche Nationalspieler war, aber damit doch recht jung die Stollen endgültig abschraubte.

Ein paar Worte noch zu den Autoren: Paul Simpson ist Engländer. Er war lange Zeit Chefredakteur des Magazins »FourFourTwo«, das heute die auflagenstärkste Fußballzeitschrift der Welt ist. Seit 2003 jedoch leitet Simpson das offizielle Magazin der UEFA namens »Champions«.

Simpson, der nach mehreren anderen Werken auch endlich mal ein Buch über Fußball schreiben wollte und als seine Lieblingsvereine Leicester City und Nuneaton Borough angibt, ist ein alter Bekannter von Uli Hesse. Dieser wiederum ist in Dortmund geboren und - natürlich - Fan der Borussia. Er ist ein absoluter Fußballfachmann und bekannt für akribische Recherchearbeit. Unter anderem schreibt er für die »taz« und die »Süddeutsche Zeitung«, für »When Saturday Comes«, »FourFourTwo«, den »Guardian«, die »Sunday Times« und auch für »Champions«. Im Mai 2002 erschien sein erstes Buch, ausgerechnet in England: Das erste englischsprachige Überblickswerk über den deutschen Fußballs »Tor!: The Story of German Football«. Es folgten mehrere Fußballbücher auf Deutsch.

Interessant vielleicht auch, dass Uli Hesse als ehemaliger Punkmusiker für den »Rolling Stone« schreibt. Als Kind wollte er natürlich Fußballprofi werden. Das erschien dem damals 11-jährigen Uli die einzig sinnvolle Betätigung im Leben. Also schrieb er an den damaligen BVB-Trainer Otto Rehhagel einen Brief mit der Frage, was er denn tun könne, um Profi bei der Borussia werden zu können. Dass er nie eine Antwort erhielt, verzeiht Hesse dem Ex-Trainer bis heute nicht.

Immerhin sieht es so aus, als habe der verhinderte Fußballprofi nun als Schreiber die richtige Lösung aus dem damaligen Dilemma gefunden. Die Idee zum vorliegenden Buch ergab sich, weil Uli Hesse immer wieder mal von Paul Simpson in die Spur geschickt wurde, um irgendeiner interessanten Fußballfrage auf den Grund zu gehen. Irgendwann fand sein englischer Kollege einen Verlag, der solche Fragen beantwortet wissen wollte. Mindestens 100 sollten es sein. Es wurden letztlich 106 Fragen, die den Weg samt Beantwortung in dieses Buch fanden.

Um auf die Ausgangsfrage nach dem Erfinder des Übersteigers zu kommen: Klar, dass der heute bekannteste Freund des Tricks, Cristiano Ronaldo, lediglich einer in der langen Reihe von Übersteigerkünstlern ist. Aus den 1950er Jahren fand Hesse einen genialen Vertreter dieser Technik im Niederländer Abe Lenstra. Aber natürlich war auch er nicht der Erfinder. Die Lösung findet sich in den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Wer sie wissen will und vielleicht auch neugierig ist, ob Elefanten einen Elfer schießen können oder welches das erste Fanzine war, der sollte sich dieses kleine Werk kaufen oder besser noch schenken lassen.

Ulrich Hesse, Paul Simpson: »Wer erfand den Übersteiger? ... und andere lebenswichtige Fußballfragen«, Verlag Die Werkstatt. 288 Seiten. brosch., 12,90 €.

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