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Lupfverbot im Abstiegskeller

Hertha hofft in Hoffenheim und Freiburg auf Rückenwind, der HSV und Paderborn auf Schützenhilfe

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Entscheidung im Abstiegskampf fällt am letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga. Die großen Verlierer am Samstag waren der Hamburger SV und der SC Paderborn. Hertha muss noch zittern.

Seit Wochen hatten sie bei Hertha BSC auf dieses Spiel hingearbeitet: Mit dem ersten Heimsieg seit Ostern sollten auch die letzten Prozente des Zweifels am Klassenerhalt der Berliner beseitigt werden. Doch nach dem torlosen Unentschieden gegen Eintracht Frankfurt am vorletzten Spieltag muss Hertha weiter um den Klassenerhalt zittern.

»Chancen nicht genutzt, zwei Punkte verloren«, so die Kurzzusammenfassung von Herthas Kapitän Fabian Lustenberger nach dem Abpfiff. Da waren die meisten der rund 60 000 Zuschauer schon vorher aus dem Stadion verschwunden - ein Teil von ihnen hatte mit Pfiffen kundgetan, was sie vom Spiel hielten. Die große Klassenerhaltsparty samt Freibier war erst einmal verschoben. Dabei war Pal Dardai nach dem »unruhigen Spiel«, wie sein Frankfurter Kollege Thomas Schaaf die ziemlich ruppige Begegnung zusammenfasste, mit seiner Mannschaft durchaus zufrieden: »Wir haben Torchancen herausgearbeitet - und auch für unsere Verhältnisse genug Torchancen, um das Spiel zu gewinnen.« Neun zu eins Torschüsse für die Berliner sprechen eine deutliche Sprache. Die Blau-Weißen gewannen auch mehr Zweikämpfe. Die Spielidee des Ungarn war deutlich zu erkennen: Nach der Balleroberung schnell das Mittelfeld überbrücken und über die Flügel schnell zum Abschluss kommen. Hertha BSC kam so mit nur einem Drittel Ballbesitz während des gesamten Spiels aus und dominierte dennoch die Partie.

Die zwei verlorenen Punkte machten Herthas Trainer und auch der Kapitän an einer Chance fest - und an Stürmer Salomon Kalou, der sie vergeben hatte. Als in der 54. Minute der Stürmer Frankfurts Aleksandar Ignjovski den Ball abgenommen hatte und allein vor Torhüter Kevin Trapp versuchte, den Ball zu lupfen, statt ihn am Schlussmann vorbeizuschieben, fing ihn Trapp fast mühelos ab. »Was Kalou da gemacht hat, finde ich nicht in Ordnung«, stellte Dardai klar, ohne seine Enttäuschung über den Ivorer zu verbergen. »Wir müssen konsequenter sein, die Chancen, die wir kriegen, dann auch zu Ende spielen und dann den Ball nicht lupfen, sondern vorbeischieben«, hatte zuvor schon Lustenberger konstatiert. Es ist ungewöhnlich, dass Spieler und Trainer Punktverluste an einem Spieler festmachen - unerwähnt blieb beispielsweise Genki Haragouchis überhasteter Abschluss links am Tor vorbei zehn Minuten vor Schluss. Das brillante Anspiel für den Alleingang des Japaners auf das Frankfurter Tor kam von Kalou, die Szene hätte ebenso die Führung der Berliner ergeben müssen.

Kalou, dessen Vertrag zum Saisonende ausläuft, passt nicht zu Herthas Spielanlage unter Dardai, die ganz auf schnelles Umschaltspiel setzt. Zu oft wirkt Kalou träge und schwerfällig in seinen Aktionen. Dabei könnten die Herthaner am letzten Spieltag in Hoffenheim noch einmal auf die Qualitäten des Stürmers angewiesen sein - dort braucht Hertha noch mindestens einen Punkt, um das Abrutschen auf den Relegationsplatz 16 ganz sicher zu verhindern. Kalou ist im Vergleich zu anderen Berlinern recht schwer vom Ball zu trennen, was das Spiel in Sinsheim beruhigen kann, dem Hertha mit gemischten Gefühlen entgegenblickt. Einerseits liegt der Klassenerhalt immer noch in eigener Hand, andererseits verloren die Berliner das Hinspiel mit 0:5 im Olympiastadion.

Nun beginnt das Rechnen: Durch die Siege von Freiburg gegen München (2:1), Hannovers Erfolg in Augsburg (2:1) sowie Stuttgarts Wiederauferstehung gegen den Hamburger SV (2:1 nach 0:1-Rückstand) sind die Berliner wieder mittendrin im Abstiegskampf. Aber eben kontrollierbar. Auch Freiburg kann sich nach dem 2:1-Sieg gegen den müden Münchner Meister aus eigener Kraft halten: »Wenn dir ein Sieg gegen die Bayern keinen Rückenwind gibt, dann weiß ich nicht, was dir dann Rückenwind gibt«, stellte Siegtorschütze Nils Petersen fest.

Gleiches trifft auf Hannover und Stuttgart zu. Die 96er beendeten eine Serie von 16 sieglosen Spielen. Und das mit unverschämtem Glück, als Schiedsrichter Felix Zwayer ein klares Handspiel von Hannovers Sakai im eigenen Strafraum übersah. Stuttgarts Sportvorstand Robin Dutt frohlockte schon einmal nach dem abgewendeten Abstieg: »Jetzt haben wir unser Endspiel. Wir werden da sein.«

Zum Höhepunkt käme es am letzten Spieltag, würde der HSV gegen Schalke 04 gewinnen, Paderborn 0:0 gegen Stuttgart spielen und Hannover 2:4 gegen Freiburg verlieren, dann wären 96 und der VfB punkt- und torgleich Vorletzter. Von dem Patt würden die Schwaben profitieren, da sie den direkten Vergleich gegen Hannover gewonnen haben. Davon können die Hamburger in den kommenden Tagen nur träumen. Der Methusalem der Bundesliga blickt in den Abgrund zweite Liga. HSV und Paderborn können nur noch durch fremde Hilfe gerettet werden.

Für Frankfurt geht es dagegen nur noch darum, auf Post vom DFB gleich um die Ecke des Waldstadions zu warten. Vermutlich teure Post: Vor Beginn der zweiten Halbzeit starteten die Eintracht-Fans ein riesiges Feuerwerk im Gästeblock, zündeten Rauchtöpfe und Bengalos, schossen Raketen in die Luft und schmissen einige der brennenden Fackeln auf die in der Kurve postierten Ordner.

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