Der Schein von der Toleranz

Wien bemüht sich zum Eurovision Song Contest um gutes Marketing

  • Manfred Maurer
  • Lesedauer: 2 Min.
Österreich inszeniert sich als Gastgeber des 60. Eurovision Song Contests unter dem Motto »Building Bridges« als Hort der Toleranz. Der Brückenbau hat viel mit Marketing und weniger mit der Realität zu tun.

Wien. Wir sind ja so was von tolerant und liberal! Das ist die Botschaft, die das offizielle Österreich mit dem Staatsrundfunk ORF als lautestem Sprachrohr seit einem Jahr trommelt. Genau seit dem 11. Mai 2014, als ein gewisser Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst für die Alpenrepublik den Song Contest gewonnen hat. Seither scheint die Dragqueen das zu sein, was sie am Abend ihres Triumphes angekündigt hatte: »We are unstoppable!« Die aktuelle Auflage des Gesangswettbewerbs startet am Dienstag mit dem Halbfinale in Wien und endet dort am Sonnabend mit dem Finale.

Gleichgeschlechtlichen Ampelpärchen, welche eigentlich nur probeweise bis Ende Juni an 49 Wiener Kreuzungen die Ampelmänner abgelöst haben, werden wohl nun zu einer Dauereinrichtung. Die Wiener Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) lässt prüfen, ob der für den Song Contest ersonnene Gag vom Verfallsdatum befreit wird. Auch die SPÖ von Bürgermeister Michael Häupl ist dafür, die Ampelpärchen als »touristische Marke« für ein weltoffenes Wien zu erhalten. Ja, es geht um Marketing. Die neuen Ampeln haben weltweit Beachtung gefunden. So eine unbezahlbare Werbung lässt man nicht einfach wieder abmontieren.

»Schwule Kaiser, Kriegsherren und Komponisten von gestern ebenso wie schwule und lesbische Wiener/innen von heute machen die Stadt zu einer spannenden Urlaubsdestination«, heißt es auf der Internetseite von Wien-Tourismus.

Ampelpärchenbewunderer und Homostadtspaziergänger können den Eindruck bekommen: Conchita Wurst ist Österreich. Tatsächlich ist die tolerante Selbstinszenierung nicht ganz untypisch österreichisch. Die zum Bericht über die Homohochzeit von Luxemburgs Premier Xavier veröffentlichten Kommentare auf der Internetseite des »Kurier« lassen aber eine andere Wirklichkeit erahnen. »Zwei kranke Männlein« und »Pfui gack« waren noch die harmlosesten der überwiegend negativen Meinungsbekundungen. Sachlicher, aber nicht weniger verletzend, drückte man sich im Wiener Traditionscafé Prückel aus, wo im Januar zwei einander küssende Lesben wegen »Zurschaustellung der Andersartigkeit« Lokalverbot erhielten. Aber mit den schwulen Ampelpärchen ist ja alles wieder gut...

»Standard«-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid hält ihre Heimat nur für »scheinbar tolerant«. Dabei tut sich in Sachen Liberalität unbestritten etwas. Aber das hat nicht immer mit Einsicht zu tun. So hat der Verfassungsgerichtshof das Adoptionsverbot für Homosexuelle gekippt. Die Politik ist nun zum Handeln gezwungen.

Rund Dreiviertel der Österreicher sagen den Demoskopen, kein Problem mit Homosexuellen zu haben. Wie das Volk aber wirklich denkt, steht auf einem anderen Blatt. Unbestritten geben momentan die Toleranten den Ton an, während es vielen Homophoben die Sprache verschlagen hat. Noch hat die Conchita-Wurst-Fraktion aber nicht bewiesen, dass sie tatsächlich »unstoppable« ist.

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