»Gewerkschafter zu sein ist immer schön«

Der DGB-Vize von Hessen-Thüringen hält den Osten für ein hartes Pflaster und den GDL-Streik für unsolidarisch

  • Lesedauer: 3 Min.
Der DGB feiert in Erfurt sein 25-jähriges Bestehen in Ostdeutschland. Der stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen, Sandro Witt, spricht über Probleme und Chancen der Gewerkschaften im Osten.

nd: Kitas werden bestreikt. In Mitteldeutschland gibt es regelmäßig keine Post, weil Briefzusteller im Ausstand sind. Von der Unmöglichkeit, planbar Bahn zu fahren, ganz zu schweigen. Welcher Streik belastet Sie am meisten?
Witt: Streiks sind grundsätzlich nichts, was ich als Belastung empfinde. Sie sind immer legitime Mittel, um in Tarifauseinandersetzungen den Druck zu erhöhen. Dafür ist das Streikrecht geschaffen worden.

Wo soll das Geld herkommen, dass die Forderungen der Gewerkschaften kosten? Sie kennen die Finanzsituation vieler Kommunen.
Die Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte muss langfristig gestärkt werden. Dazu hat der DGB Vorschläge gemacht. Etwa die Forderung nach Wiedereinführung der Vermögensteuer und einer Reform der Erbschaftsteuer. Mit der schwarzen Null und der Schuldenbremse ist kein Staat zu machen. Wir brauchen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Soziales.

25 Jahre Gewerkschaften im Osten

Erfurt. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) hat die Gewerkschaften in Ostdeutschland als Rückgrat der Gesellschaft gewürdigt. Sie hätten den Osten in den vergangenen 25 Jahren entscheidend mitgeprägt, sagte er am Mittwoch in Erfurt. Am Abend erinnerte der DGB mit einem Festakt an den Beginn seiner Arbeit in den neuen Bundesländern. Im September 1990 hatte sich der Dachverband der DDR-Gewerkschaften, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), aufgelöst.

Die Gewerkschaften seien ein »Korrektiv in einer Gesellschaft, in der die Wirtschaft in der Wahrnehmung vieler Menschen alles dominiere«, teilte die SPD-Fraktion im Landtag mit. DGB-Chef Reiner Hoffmann sprach von einem »regelrechten Neustart«, den die Gewerkschaften nach der Wende hinlegen mussten. Die Rahmenbedingungen seien schlecht gewesen. Heute liege das Lohnniveau bei 97 Prozent, der Mindestlohn habe den Niedriglohn ausgebremst. Gewerkschaften seien das größte politische Netzwerk, so Hoffmann. Gemeinsam mit Arbeitgebern, Kommunen und der Bevölkerung stelle man sich etwa der Fremdenfeindlichkeit entgegen. dpa/nd

Warum sind Arbeitnehmer und Gewerkschaften in Thüringen und allgemein im Osten so schwach?
Warum die Arbeitgeber im Freistaat sich seit 25 Jahren gegen Tarifverträge sträuben und dafür gesorgt haben, dass Thüringen ein Niedriglohnland ist, das müssen Sie den Chef des Arbeitgeberverbandes fragen. Ich will aber gar nicht bestreiten, dass auch die Gewerkschaften in Thüringen seit der Wende Fehler gemacht haben und wir deshalb hier nicht so stark sind, wie wir es sein könnten. Andererseits: Ziemlich genau 25 Jahre nach der Wende sind wir als Gewerkschaften in Thüringen immer noch im Aufbau. Das kann aber auch gar nicht anders sein, denn 1990 gab es im Land keine funktionieren Strukturen bei den Betriebsräten oder den freien Gewerkschaften. Wir können das noch nicht mit der Stärke der Gewerkschaften in den alten Ländern vergleichen. Und man muss wohl auch sagen: Zu viele Arbeitnehmer in Thüringen verhalten sich gegenüber ihrem Arbeitgeber noch zu unterwürfig.

Gab es schönere Zeiten, um Gewerkschafter zu sein? Die großen Gewerkschaften unter dem Dach des DGB liegen im Clinch mit Spartengewerkschaften wie der GDL.
Gewerkschafter zu sein, ist für mich immer schön. Ich bin jetzt 33 Jahre alt und bin schon seit meinem 16. Lebensjahr gewerkschaftlich organisiert. Ich kenne also die Aufs und Abs in der öffentlichen Reputation von Arbeitnehmervertretern. Da muss man sich einfach ein dickes Fell zulegen.

Für gewöhnlich kommen Angriffe von den Arbeitgebern. Jetzt aber von anderen Gewerkschaftern.
Gewerkschaften sind Organisationen, in denen sich Arbeitnehmer organisieren und gemeinsam dafür kämpfen, dass in einer Branche für alle Beschäftigten faire Löhne gezahlt werden und vernünftige Arbeitsbedingungen herrschen. Die GDL ist deshalb für mich überhaupt keine Gewerkschaft, sondern eine Standesorganisation, ein Berufsverband. Beim Streit, den die GDL mit der Bahn austrägt, geht es im Kern gar nicht um Löhne oder Arbeitsbedingungen, sondern den Einfluss dieser Organisation innerhalb der Bahn. Das mag legitim sein, ist aber im gewerkschaftlichen Sinne unsolidarisch und hat mit Gewerkschaftsarbeit nichts gemein. Das ist, und das beschäftigt mich schon, ein Verrat an den Idealen der Arbeiterbewegung.

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