Werbung

Volle Kiezkultur auch am Sonntag

Eine Online-Petition fordert die durchgehende Öffnung von Spätkäufen in Berlin

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Spätis gehören zur Berliner Kiezkultur. Doch die kleinen Läden können mit der Konkurrenz der großen Supermärkte kaum mithalten. Ein freies Verkaufssrecht an Sonntagen soll helfen.

Es ist ein lauer, frühsommerlicher Sonntagabend. Der gemeine Berliner und der Tourist aus aller Welt sitzen relaxed am Landwehrkanal. Im mitgeschleppten Picknickkorb ist schon längst gähnende Leere. Die Entscheidung, was jetzt zu tun ist, ist schnell gefällt: ein kühles Bier und eine Minipizza müssen her. Aber es ist doch Sonntag. Alle Geschäfte haben geschlossen. Wirklich alle? Nein! Der nächste Späti, berlinerisch für Spätkauf, hat noch geöffnet. Dieses Szenario mag alltäglich erscheinen. Aber eigentlich dürfte es so gar nicht stattfinden. Das Ladenschlussgesetz ist knallhart.

»Wo bin ich hier eigentlich? In Berlin und oder schon in München?«, fragte sich Christina Jurgeit angesichts des sonntäglichen Öffnungsverbots. Der Späti ihres Vertrauens begeht eine Ordnungswidrigkeit und riskiert ein saftiges Bußgeld, wenn er auch an Sonntagen seine Stammkunden versorgen möchte. Das darf nicht sein, dachte sich die Neuköllnerin und startete eine Online-Petition auf der Internetseite »change.org«. »Die über 1000 Spätis haben eine unverzichtbare soziale Funktion in Berlin. Alle Spätverkaufsstellen sollten mit Tankstellen und Bahnhofsläden gleichgestellt werden und somit ein freies Verkaufsrecht ihrer Ware an Sonn-und Feiertagen erhalten«, so die 28-Jährige. Gemäß eines Beschlusses des Oberverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 2012 ist es den Spätkäufen, die mehr als Zeitungen, Blumen, Milch und Backwaren verkaufen, nicht erlaubt, an Sonn-und Feiertagen zu öffnen. Die, deren Angebot derartig beschränkt ist, dürfen von 8 bis 16 Uhr ihre Kunden bedienen. Alkohol und Tabak, an den anderen Tagen der Woche die Verkaufsknüller im Späti schlechthin, dürfen gar nicht angeboten werden.

Faktisch ist der Sonntag der umsatzstärkste Tag für die Spätkäufe. Kaum ein Betreiber hielt sich in der Vergangenheit an das sonntägliche Verkaufsverbot. Das ist auch dem Ordnungsamt aufgefallen. In Neukölln, dem Bezirk mit der größten Späti-Dichte, wurden in letzter Zeit gezielt Läden kontrolliert und Bußgeldforderungen ausgestellt. In anderen Bezirken gibt es hingegen keine oder kaum regelmäßige Kontrollaktionen. In Pankow werden die Ordnungshüter beispielsweise erst nach ausdrücklichen Beschwerden von Anwohnern aktiv, heißt es aus dem dortigen Bezirksamt. Frei nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Ein Verstoß gegen das Ladenschlussgesetz kostet den Späti-Betreiber in jedem Fall mindestens 250 Euro. Bei wiederholtem Vergehen können es bis zu 2500 Euro sein. Auch der Entzug der Geschäftslizenz ist möglich. »Ich kapiere das nicht. Die Bezirksämter sollten doch die lokale Wirtschaft unterstützen. Wir Spätis schaffen Arbeitsplätze und gehören zu Berlin wie die Freiheitsstatue zu New York«, erklärt Tarek, Neuköllner Späti-Besitzer. Auch er musste schon einmal ein Bußgeld wegen unerlaubten Sonntagsverkaufs zahlen. Würde er sich aber an das Ladenschutzgesetz halten, hätte er schon längst Insolvenz anmelden müssen, sagt der 33-Jährige. Er ist einer der immerhin schon 15 000 Menschen, die die Online-Petition mit ihrer Unterschrift unterstützen.

Über den ganzen Sommer soll die Petition noch im Netz stehen, sagt Jurgeit. Später sollen die Unterschriften dann in Papierform an Berlins Bürgermeister Michael Müller, die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (beide SPD)sowie an das Ordnungsamt übergeben werden.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal