Buongiorno, Brigadiere!

Martin Leidenfrost reiste zwei italienischen Phänomenen nach: Pasolini und Renzi

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

In diesem Frühsommer nun endlich eine italienische Reise. Vielleicht lerne ich doch was über die Zukunft; schließlich trat so manche historische Bewegung auf spielerische Weise in Italien auf, bevor sie anderswo bitterer Ernst wurde. Dass eine Hochkultur zu einem TV-Reigen tanzender Titten herabsinkt, könnte auch anderen bevorstehen, zum Beispiel. Gewöhnt an slawische Schwermut, erstaunt mich als erstes der Frohsinn der Italiener. Ich treffe immer noch auf Italienerinnen, die nach all den Jahren krisenhafter Stagnation bei der Arbeit singen.

Ich habe das Büchlein «Il royal baby» dabei, einen Essay über den jungen Premierminister Matteo Renzi. Geschrieben hat ihn Giuliano Ferrara, ein teils in Moskau aufgewachsener Intellektueller aus kommunistischem Adel, dann CIA-Agent, Berlusconi-Unterstützer, konservativer Debattierer in der Manege. Ferrara preist Renzi: «Wollt ihr, dass ein alter und rechtschaffener Berlusconiano-Pop wie ich sich nicht in den Pfadfinderjungen der Vorsehung verliebt?» Renzi, der «Verschrotter des Systems», der «Speedy Gonzalez der italienischen Politik», bewegt sich stets rennend, schüttelt auch Hände im Rennen. Er erscheint mir als die cartoonartige Beschleunigung der italienischen Café-Bars: Ein zügiger Ristretto im Stehen, ein paar freundliche Worte und abgerauscht mit einem allumarmenden «Ciao».

Ich schwimme in den Meeren links und rechts des Stiefels; im «Golfo dei Poeti» nahe des Strandes, auf dem Lord Byron romantisch die Leiche seines ertrunkenen Freundes Shelley verbrannte; in Tirrenia; in der Liegestuhl-Plantage Jesolo mit seinen treuen Wiener Hausmeisterinnen; im Duino von Rilkes «Duineser Elegien - »o und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum uns am Angesicht zehrt«. Ich sehe auf den Stränden ein italienisch adaptiertes Hipstertum männlicher Poseure, tätowierte Körper gerade auch von Frauen, große schwarze Sonnenbrillen bis tief in die Nacht.

Ich fahre in die Heimat des Filmemachers Pasolini, nach Casarsa della Delizia. Hier begann Pasolini beim erregten Blick auf die Kniekehlen fußballspielender Jugendlicher seine Homosexualität zu ahnen, hier dichtete er auf Friaulisch: »O cristian Furlanut, plen di veça salut«, »oh kleiner christlicher Friauler, voll alter Gesundheit.« Polizisten stoppen mich. Ich probiere die Anrede aus einem alten Italienisch-Buch: »Buonasera, Brigadiere!« Der Jüngere tippt langwierig meine Daten ein, der Ältere aber plaudert so nett mit mir, wie das sonst nur moldawische Grenzer können. Aufmerksam lauscht er meiner Expertise europäischer Separatismen, rätselt über Pasolinis Ermordung, »lieber lese ich aber über die Weltkriege.« - »Isonzo?« - »Ja!« - »Pasolinis Bruder war katholischer Partisan, oder?« - »Ja, und jugoslawische Partisanen haben ihn umgebracht.«

Ich in die Toskana runter. In Loppiano, dem Zentrum der katholischen Fokolarbewegung, trat der Premierminister neulich auf. »Renzi war als Kind oft da«, erzählt mir ein Bewohner, »er wurde ziemlich gefeiert.« Wenige wissen, dass der Hoffnungsträger der italienischen Linken nicht aus der kommunistischen oder sozialdemokratischen Traditionslinie des »Partito democratico« kommt, sondern aus der Christdemokratie. Vielleicht erklärt das seine Politik. »Ist er in Loppiano auch so rumgehüpft?«, frage ich. »Ja, er ist dynamisch.«

Ich besichtige Renzis Heimatstadt nebenan, steil über dem tief eingeschnittenen Fluss Arno. Kurz nach zwei liegt Rignano in bleierner Siesta-Schläfrigkeit. An der Ortsausfahrt ereilt mich die nächste Kontrolle. »Buongiorno, Brigadiere!« Wieder humanstes Geplauder, »wollen Sie den Wagen nicht in den Schatten stellen?« Der Ältere fragt mich: »Wissen Sie, dass der Präsident des Ministerrates von hier ist?« - »Ja.« - »Seine Eltern wohnen dort hinten.« - »Haben die ein großes Haus?« - »Ein bescheidenes.« Der Jüngere legt meine Papiere auf die Polizeikelle, serviert sie dem Älteren über das Dach des Streifenwagens hinweg, »gute Reise!«

Aus Ferraras stilistisch funkelndem Essay erfahre ich über Ferrara alles. Und über Royal Baby Renzi, dass die Nase seiner Frau »ein Zeugnis der Konstruktionsgabe Gottes ist«. Mehr Inhalt ist nicht, wir müssen uns an die Oberflächen halten. Ferrara erklärt: »Platz für die Jungen und fort mit den Posaunenbläsern: Ich hätte nie gedacht, dass dies ein Programm sein könnte, jedoch es ist’s.«

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