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Innen hui, außen pfui

Die derzeit laufenden Händelfestspiele in Halle haben zwischen Opernthriller und Counterartistik jede Menge zu bieten

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Heutzutage macht oft eine marktschreierische Verpackung mehr her als ihr Inhalt. Bei den Händelfestspielen in Halle ist es diesmal umgekehrt. Aber man kann es mit der Zurückhaltung auch übertreiben. In der Saalestadt hat man den Eindruck, das Stadtmarketing sei noch nicht erfunden worden. Dass die traditionsreichen, tatsächlich in der Stadt verwurzelten Festspiele zum höheren Ruhme des in Halle geborenen Barockmeisters gerade im Gange sind, kann man beim Spaziergang durch die charmante Altstadt glatt übersehen. Ein bisschen mehr Gedöns müsste schon sein, oder besser: wieder werden.

Aber das war’s dann schon mit dem Gemeckere. Denn was künstlerisch in diesem Jahr unter dem Motto »Händel und seine Interpreten« aufgeboten wird, kann sich wahrlich hören und sehen lassen! Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Festspiele in Zeiten knapper Kassen ihren Besuchern allein schon vier Opernproduktionen anbieten können. Neben der Wiederaufnahme von Nigel Lowerys »Arminio«-Inszenierung (die, und das ist ein Alleinstellungsmerkmal der Oper Halle, im Repertoire gereift ist) gibt es als Novität und aktuellen Hauptbeitrag des Opernhauses die von Stephen Lawless erstmals szenisch aufgeführte Händeloper »Lucio Cornelio Silla«. Romelia Lichtenstein brilliert darin als Gattin des Diktators und Frauenhelden Silla. Den gibt der junge Filippo Mineccia als glutäugigen Duce-Verschnitt und mit dramatischem Counter-Drive. Für dieses nur zweistündige, höchst spannende Psychogramm einer fortschreitenden Hybris hat Frank Philipp Schlössmann ein Drehbühnenlabyrinth aus imperialen Salons gebaut. Durch maßvoll hinzugefügte, mit einer Leni-Riefenstahl-Ästhetik spielende Videos bekommen die etwas beklemmend Furchterregendes.

Dass diese zu Unrecht gering geschätzte Ausgrabung ein festspielgemäßer Überraschungserfolg wurde, liegt auch an der übrigen Sängercrew, aus der etwa Counter Jeffry Kim und Ines Lex im Duett glänzten. Und natürlich an Enrico Onofri, der das bestens disponierte Händelfestspielorchester zu knackigen Tempi animierte.

Im Goethe-Theater Bad Lauchstädt war dann der von Lucinda Childs in ein ironisch witziges Zwischenreich aus Theaterintrige und Historienschinken gesetzte »Alessandro« zu Gast. Max Emanuel Cencic muss sich hier als wunderbar timbrierter und gereifter Counter-Star (bzw. Feldherr) zwischen zwei exzentrischen Theaterdiven (bzw. Prinzessinnen) entscheiden, die beide scharf auf ihn sind. Man ahnt, wie die Legenden über den Zickenkrieg der Diven - hier wunderbar von Blandine Staskiewicz und Dilyara Idrisova imitiert - und die Kastratenallüren zu Händels Zeiten gerade bei dieser Oper in die Welt kamen. In Bad Lauchstädt steuern George Petrou und sein Ensemble »Armonia Atena« den barock historischen Sound bei, der beim Publikum genauso zündete wie die witzige Inszenierung und die vokale Prachtentfaltung. Diese schon vor zwei Jahren geplante, dann aber der Hochwasserabsage zum Opfer gefallene Produktion passt jetzt genau zum Festspielmotto. Die Wiener Produktion der »Semiramide« vom gerade wiederentdeckten Händelzeitgenossen Leonardo Vinci komplettiert das erlesene Opernprogramm.

Als dem französischen Counterstar Philippe Jaroussky der diesjährige Händelpreis überreicht wurde und er seine Händelkompetenz bei der Gelegenheit mit einem hinreißenden Konzert (bei dem Nathalie Stutzmann nicht nur dirigierte, sondern virtuos auch einen Altpart übernahm) unter Beweis stellte, war das nur der Auftakt für eine ganze Parade von erstklassigen Countertenören, die sich in einer Dichte wie noch nie zu diesen Festspielen in Halle eingefunden haben. Allein bei den Opernproduktionen machen mehr als ein halbes Dutzend mit. Zur bejubelten Sensation wurde freilich der Argentinier Franco Fagioli, der seine Arien für Cafarelli (einem der exzentrischsten Kastratenlegenden) wie ein Feuerwerk der Virtuosität abfackelte. Das richtige Feuerwerk gibt’s dann traditionsgemäß am Ende dieses exzellenten Festspieljahrgangs.

Die Händelfestspiele dauern bis zum 14. Juni. www.haendelfestspiele-halle.de

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