nd-aktuell.de / 12.06.2015 / Kommentare / Seite 4

Krawallpost von Erdogans Groupies

Fabian Köhler über eine AKP-genehme Berichterstattung aus der Türkei, wüste Beschimpfungen deutscher Auslandstürken im Internet und die Frage, was das alles mit Pegida zu tun hat

Fabian Köhler

Es gibt für Journalisten Themen, bei denen man sich sicher sein kann, dass ein paar Stunden nach Veröffentlichung des Artikels der Posteingang voll sein wird mit empörten Leserkommentaren: Dazu zählen die Unterbringung von Flüchtlingen, die Diskriminierung von Roma, Genderthemen, alles mit Israel und Palästina und natürlich jeder Text, in dem der russische Präsident Wladimir Putin vorkommt. Sucht man auf Facebook nach den Absendern der Post, landet man meist irgendwo im Umland von Dresden. Unter »Ausbildung« steht »Schule des Lebens«, darunter findet sich der Hinweis auf die Mitgliedschaft in einer Gruppe wie »Käbschütztal wehrt sich gegen Asylmissbrauch«.

Zur Parlamentswahl in der Türkei am vergangenen Sonntag ist eine neue Variante dieses Pegida-Internetmobs in Erscheinung getreten: die Groupies des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Um diese von der Leine zu lassen, braucht man gar keine Lobeshymnen auf den gefühlten Wahlsieger, die kurdische und linke Partei »Demokratische Partei der Völker« HDP, zu schreiben. Es reicht schon die bloße Erwähnung bestimmter Reizwörter in einem Text über die Türkei: »Palast«, »Kurden«, »Fetullah«, »Alleinherrschaft« »Korruption«, »Twitter«, »Syrien«, »Kobane« »Gezi«, »Armenier«, »Präsidialsystem« oder »Presse«. Auf Facebook, Twitter und per E-Mail kommen nach solchen Artikeln oft Dutzende, manchmal Hunderte empörter Kommentare, Linksammlungen zu Foltervideos aus Syrien oder eine Auswahl von Photoshop-Collagen aus Erdoğan-Porträts mit seinen schönsten Wahlkampfslogans. Dazu gibt es dann meist die Aufforderung, doch endlich »die Wahrheit« über Erdoğan, die konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) und das Land am Bosporus zu berichten.

Die »Wahrheit« aus der Sicht AKP-naher deutscher Auslandstürken im Netz klingt meist folgendermaßen: Da gibt es die betont desinteressierte Variante: »Wer bist du überhaupt? Interessiert eh keinen, was du zu sagen hast.« Dann die verschwörungstheoretische Variante: »Jeder in Deutschland, der dafür bezahlt wird, über die Türkei zu schreiben, wird dafür bezahlt, gegen die Türkei zu schreiben.« Und die diffamierende Variante: »Menschen wie du holen sich doch auch einen drauf runter, wenn PKK-Terroristen schwangere Frauen ermorden.« Oder auch Mordfantasien: »Was interessiert dich die Türkei, du linksextremes Schwein. Wird Zeit, dass dich die ISIS schnappt und deinen verlogenen Bastardschädel abschneidet.«

Solche Kommentare bekam vor und nach der Parlamentswahl wahrscheinlich so ziemlich jeder Journalist, der aus Istanbul berichtete. Viele haben dies öffentlich gemacht, die meisten aber ertragen es wahrscheinlich einfach im Stillen als lästiges Berufsrisiko. Dabei kommt man als Reporter mit nicht türkischem Hintergrund (»was weißt du schon, warum kritisierst du nicht Merkel, ich ficke dich/ deine Schwester/ Mutter oder irgendein anderes Familienmitglied ...«) noch relativ glimpflich weg. Wesentlich schlimmer geht es jenen »Vaterlandsverrätern«, die türkische Wurzeln haben.

Natürlich gibt es allerhand Positives über die AKP zu sagen. Die Partei um Erdoğan hat das Land vor dem Finanzcrash bewahrt und für jahrelanges Wirtschaftswachstum gesorgt. Sie hat es geschafft, die Macht der Militärs als eigener Staat im Staat zu bändigen. Sie hat außerdem dafür gesorgt, dass eine Generation Kopftuch tragender Musliminnen nicht mehr zu einem Leben als Putzfrau verdammt ist. Und sie hat den »Friedensprozess« mit den Kurden initiiert, der zwar bisher keinen echten Frieden brachte, aber doch dafür sorgte, dass im Osten des Landes Universitäten entstehen, wo einst die türkische Luftwaffe kurdische Dörfer bombardierte.

All das kann man lesen, wenn man will. In Hunderten Artikeln vermeintlicher AKP-Hasser und bei den »Nutten der gleichgeschalteten Systempresse«. Überall und jeden Tag. Nicht in den Facebook-Posts vulgärer und aggressiver Erdoğan-Groupies, die jene autoritäre und repressive Türkei leugnen, für die sie selbst den besten Leumund abgeben - und die eigentlich nichts gegen freie Presse haben, so lange die schreibt, was sie hören wollen. Womit wir wieder bei den Pegida-Anhängern wären. Die haben ja auch nichts gegen Ausländer.