Der Schatz liegt im Osten

25 Jahre nach der Wende fehlt das richtige Konzept für die Industrie

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
In den neuen Bundesländern gibt es spezifische Probleme - und ebensolche Chancen. Das ist das Ergebnis einer Konferenz der LINKEN.

Der Osten als Avantgarde und Erfahrungsschatz, den es zu heben gilt? Die Teilnehmer der Konferenz »Indus- triepolitik in Ostdeutschland« waren sich darüber relativ einig. Im Clara-Zetkin-Saal, dem Sitzungsraum der Linksfraktion im Bundestag, wurden am Montag die ökonomischen Vorteile der neuen Bundesländer betont - ohne jedoch die auch 25 Jahre nach der Wende bestehenden Probleme unter den Teppich zu kehren.

Mehr Selbstbewusstsein forderten nicht nur der designierte Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch und der Ost-Koordinator der Fraktion, Roland Claus, sondern auch die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke. Sie nahm zum zweiten Mal an der Konferenz teil, fühlte sich offensichtlich wohl und verteilte Mitbringsel aus dem Bundeswirtschaftsministerium an die anwesenden Politiker, Unternehmer und Hartz-IV-Aktivisten.

Mit Freundschaftsgaben ist die ostdeutsche Wirtschaft natürlich nicht zu retten, das ist auch im Ministerium Konsens. Gleicke warb für die Förderprogramme ihres Hauses. Das Innovationsprogramm für den Mittelstand etwa sei gerade für Firmen mit bis zu 499 Mitarbeitern geöffnet worden. Ein Bitterfelder Unternehmer stellte allerdings die Frage, ob bei der Menge der Förderprogramme gewährleistet werden könne, dass sie ihren Zweck erfüllten. Da schaltete Gleicke kurz in den offiziellen Modus um und verlautbarte, dass man selbstverständlich regelmäßig evaluiere.

Wesentlich größere Probleme als die oft kritisierte Gießkannentaktik bei der Verteilung von Subventionen könnten demnächst auf die neuen Bundesländer zukommen: Der Bund-Länder-Finanzausgleich inklusive dem Solidarpakt II läuft 2019 aus. Am Donnerstag gehen die Beratungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen weiter, mit einer schnellen Einigung rechnet kaum jemand. Es verwundere nicht, so Bartsch, dass die Ost-Ministerpräsidenten viele Forderungen einbrächten. Etlichen Regionen fehlten einfach die Gelder, um strukturelle Veränderungen anzugehen. Gleicke forderte einen Finanzausgleich, der seinen Namen verdiene: »Die Starken müssen die Schwachen unterstützen.«

Die Schwäche des Ostens könne man auch als Chance begreifen, da waren sich alle einig. Es würden sich keine DAX-Konzerne zwischen Suhl und Schwerin ansiedeln, »dieser Traum sei ausgeträumt«, so Gleicke. Stattdessen solle der Osten mit »weichen« Faktoren punkten. Flächendeckende Kinderbetreuung und die hohe Frauenbeschäftigungsquote etwa könnten Unternehmen anziehen, die auf Familienfreundlichkeit setzten.

Auch organisatorisch hätten Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern viel zu bieten, sagte Ulrich Walwei, Vizedirektor des Institutes für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). Bauland sei billiger, Genehmigungen schneller zu bekommen und die Infrastruktur oft besser, warb der Ökonom. Als Arbeitsmarktforscher sehe er aber auch Probleme: die kleinteilige Unternehmensstruktur, niedrige Löhne und minimale Innovationsraten. Zudem habe die Abwanderung junger Menschen nicht gestoppt werden können und für die Zuwanderung aus dem europäischen Ausland gebe es keine Konzepte.

Im 25. Jahr nach der Wende hängen dem Osten die Fehler des Vereinigungsprozesses nach, das wurde deutlich. Jeder zweite Ostdeutsche musste seinen Job wechseln oder wurde arbeitslos, das hätten viele Regionen nie verkraftet, sagte Vize-Fraktionschefin Gesine Lötzsch. Mit der Währungsunion brachen laut Gleicke zudem nicht nur die Märkte in Osteuropa weg, sondern auch Vertriebswege wie Quelle, die DDR-Waren verkauft hatten, denen die Ostprodukte aber zu teuer wurden. Ebenfalls teuer zu stehen kommt den Osten bis heute die Treuhandpolitik, die statt auf Erhalt von Strukturen auf Privatisierung und Deregulierung setzte und so hunderttausende Jobs vernichtete.

Die Erfahrungen, die der Osten seit 1989 gemacht habe, seien jedoch ein Schatz, wiederholte Roland Claus sein langjähriges Motto. Nicht nur für die Bundesrepublik, ergänzte Walwei. So habe Korea großes Interesse, aus ostdeutschen Erkenntnissen zu lernen.

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