Wenn Pfeile durchs Republikstadion surren

Ein Nachmittag beim Bogenschießen kann dauern

Die Fußballarena, in der sich bei den Europaspielen von Baku die Nischensportler wegen der passenden Größe mit Pfeil und Bogen messen, ist einem Schiedsrichter gewidmet, den die Deutschen sehr gut kennen.

Bogenschützen sind ziemlich oft in Fußballstadien zu Gast. »Wir schießen über 70 Meter Distanz, da braucht man schon ganz schön Platz«, erklärt Elena Tonetta, Bogenschützin aus Italien. »Fußballplätze eignen sich dafür gut.« Nicht immer allerdings dürfen die Schützinnen und Schützen in so stattliche Arenen wie in Baku. Bei der Premiere der Europaspiele lassen sie ihre Pfeile quer über das Grün des Tofiq-Bahramov-Republikstadions segeln. Dort, wo üblicherweise die hiesige Fußballnationalmannschaft aufläuft, bis vor kurzem unter Leitung eines gewissen Berti Vogts - und auch mit dessen Hilfe nicht über die Maßen erfolgreich.

Das klassische Stadion erinnert trotz des Umbaus 2012 von außen noch deutlich an Josef Stalin, dessen Namen es bei der Eröffnung 1951 trug. Die Stalin-Ära endete schon bald, auch in Baku, dessen Vorzeigearena fünf Jahre später in Leninstadion umgetauft wurde. 1993 erhielt es seinen jetzigen Namen. »Die Bedingungen stimmen für uns«, sagt Elena Tonette, die am Mittwoch in den Wettbewerb einsteigt und am Dienstag noch zum Zuschauen gekommen ist. »Es ist ein wenig windig, aber insgesamt ist alles gut.«

Die Ränge eines Republikstadions nur ansatzweise zu füllen gelingt den Nischensportlern auch in Baku nicht: Die Hälfte der wohlproportionierten 31 000 Zuschauer fassenden Arena ist per se aus Sicherheitsgründen gesperrt, denn die 32 Zielscheiben stehen nah an den Banden des Innenraums. Immerhin, die Blöcke eins und zwei des Sandsteinbaus aber sind Zuschauern vorbehalten. Etwa 1000 Menschen sind schließlich am frühen Dienstagnachmittag dabei, als die erste Medaillenentscheidung der Spiele im Bogenschießen beginnt.

Geduldig sitzen die Bakuer auf ihren Plätzen, verzehren mitgebrachtes Gebäck, fotografieren einander und sehen den Einspielfilmchen auf der Videoleinwand zu, in denen die Feinheiten der exotischen Sportart erklärt werden: »Beim Mixed-Wettbewerb haben der Schütze und die Schützin pro Satz je zwei Pfeile und 80 Sekunden Zeit, um sie auf die Zielscheibe in 70 Meter Entfernung abzuschießen. Ist nach vier Sätzen keine Entscheidung gefallen, gibt es ein Stechen. Die Sieger kommen eine Runde weiter, die Verlierer scheiden aus.«

Gleich zu Anfang soll es hart für die Stadionbesucher werden. Im zweiten von 16 Achtelfinals scheiden die Bogenschützen Aserbaidshans aus, das Ehepaar Senyuk, das sich durchaus Chancen ausgerechnet hatte. Olga Senyuk trat früher für Moldova an, ihr Gatte Taras für die Ukraine. Doch auch ohne das Heimteam harren die Leute aus. Bis 20 Uhr soll es hier heute dauern und die Aseri bringen eine Menge guten Willen für einen Sport mit, in dem Athleten Anglermützen und Hüftgürtel tragen, und sich zwischendurch Notizen machen.

Manch einer sehnt sich vielleicht nach einem Fußballmatch. Nicht nur Fußballer der Nationalelf spielen hier. Auch der FK Karabach Agdam, der seit dem Krieg mit Armenien in Baku ansässig ist, trägt in diesem Stadion seine Europa-League-Spiele aus. Andererseits ist es nicht so gut bestellt mit dem Fußball. Das Idol des Landes ist ein Schiedsrichter - jener Tofiq Bahramov, nach dem das Stadion benannt ist. Sein Denkmal stand bis zum Umbau vorm Haupteingang der Arena, ehe es 2012 vor ein Nebengebäude umgesetzt wurde. Deutsche Fans kennen den Mann auch gut: Er war jener sowjetische Linienrichter, der im WM-Finale 1966 das umstritten Wembley-Tor FÜR England gab. Das Denkmal in Baku weihte Geoff Hurst ein, Schütze dieses auf ewig umstrittenen 3:2.

Auf den Rängen wird es mit fortschreitender Zeit leerer. Immerhin noch 200, 300 Leute sind aber dabei, als kurz vor Acht die letzten Pfeile über den Rasen surren und Italiens Bogenschützenduo das Finale mit 5:3 für sich entscheidet. Beim Warten auf die Siegerehrung zücken die Zuschauer ihre Handys. Auf den Mobiltelefonen können sie die neuesten Nachrichten von Präsident Ilham Aliyev lesen, natürlich auch an diesem Tag ausschließlich lobende, staatstragende: Der autokratische Herrscher hat dem Präsidenten des Europäischen Olympischen Komitees Patrick Hickey zu dessen 70. Geburtstag den Sharaf-Orden verliehen - für die Europaspiele, die Hickey dem Land zuschanzte, das Menschenrechtler »neo-totalitär« nennen.

Dann endlich bekommen Natalia Valeeva und Mauro Nespoli aus Italien ihre Goldmedaillen um den Hals gehängt. Die letzte Ehrung des Tages im Republikstadion - weit weniger unappetitlich als die im Präsidentenpalast.

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