Gefährlich fließende Grenzen

42. Linzer Tagung befasste sich mit Arbeiterbewegung und Rechtsextremismus

  • Günter Benser
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Die diesjährige Tagung der ITH (International Conference of Labour and Social History) durfte mit besonderer Spannung erwartet werden. Zum einen wegen der - wie auch die Wahlen des letzten Wochenendes in Deutschland bestätigt haben - hochaktuellen Thematik »ArbeiterInnenbewegung und Rechtsextremismus«, zum anderen, weil auf der Generalversammlung weichenstellende Entscheidungen zur Perspektive dieser internationalen wissenschaftlichen Vereinigung zu treffen waren. Über Rechtsextremismus wird in den verschiedensten Zusammenhängen debattiert, meist unter politologischen und soziologischen, weniger unter historischen Aspekten. Die Teilnehmer der Linzer Konferenz interessierten vor allem die ansonsten kaum im Blickfeld stehenden Wechselbeziehungen zwischen Arbeitermilieu/ Arbeiterbewegung und Rechtsextremismus. Der moderne Rechtsextremismus entstand als eine mit Beginn des 20. Jahrhunderts auftretende, doch an ältere elitäre, autoritäre, militaristische, nationalistische und rassistische (oft antisemitische) Konzepte anknüpfende Einstellung und Bewegung, die vor allem angesichts der traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und seiner Folgen in vielen Ländern hochschwappte. Dass dies keine Äußerung der Arbeiterbewegung war, ist offensichtlich. Doch stellt sich die Frage, inwieweit und wieso diese antihumanistische, antidemokratische und antisozialistische Richtung auch Teile der Arbeiterbevölkerung an sich ziehen und an sich binden konnte. Solche Phänomene lassen sich nur verstehen, wenn wir begreifen, dass Erfahrungen ethnischer Gruppen, nationalistische Prägungen, reaktionäre Tabus, Neigungen zum Einsatz brutaler Gewalt eine enorme - teils unterschwellige - Langzeitwirkung entfalten. Auch müssen wir die Tatsache anerkennen, dass rechtsextremistische und faschistische Bewegungen und mehr noch durch sie hervorgebrachte Regime nicht nur soziale Demagogie betrieben, sondern in die sozialen Beziehungen nachhaltig eingreifende völkische, korporatistische Konzepte mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Arbeiterbevölkerung verfochten und teilweise realisiert haben. Die Rolle der Arbeiter im »Dritten Reich« wie auch vergleichbare Entwicklungen in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern liefern hier viel Stoff zum Nachdenken. Alarmierend müssen die auf der Konferenz vorgestellten Entwicklungen genannt werden, die von der Wiedergeburt rechtsextremer Ideologien, Bewegungen und Parteien insbesondere in den gegenwärtigen osteuropäischen Transformationsgesellschaften zeugen. Aus dem, was in Linz vorgetragen wurde, ist zu folgern, dass wir es beim Rechtsextremismus mit einer Bewegung mit fließenden Grenzen und unterschiedlicher Ausprägung ihrer nostalgischen, aggressiven, terroristischen Züge zu tun haben. Es handelt sich um eine der großen gesellschaftspolitischen Grundströmungen des zurückliegenden Jahrhunderts, die vehement in das neuangebrochene Jahrhundert hineinwirkt - keineswegs nur um zeitweilige Abirrungen vom Wege des demokratischen Fortschritts. Angesichts dieser Bedrohung ist in Linz zu wenig über Gegenstrategien nachgedacht worden. Auch eine im Umfeld der Tagung anberaumte Podiumsdiskussion vermochte diese Lücke nicht zu schließen. Dass unter den Gegenkräften der Arbeiterbewegung beziehungsweise den in ihrem Gefolge entstandenen vielfältigen sozialen Initiativen, Aktionsgruppen und Netzwerken besonderes Gewicht zukommt, sollte eigentlich keiner weiteren Begründung bedürfen. Deshalb war es wichtig, dass die Generalversammlung den in den letzten Jahren geführten Diskussionen um die Perspektive der ITH (diese reichten bis zum Vorschlag der Selbstauflösung) ein gewisses Ende setzte. Gestützt auf die von einer »Zukunftskommission« unterbreiteten Überlegungen, beschloss die Generalversammlung die Fortführung ihrer Aktivitäten in Form der jährlichen Linzer Konferenzen und dazwischengeschalteter, in Kooperation mit anderen Institutionen organisierter Tagungen. Inhaltlich soll eine Konzentration auf »Global Labour History« erfolgen, d. h. auf »die Geschichte der abhängig Arbeitenden und ihrer Organisationenformen sowie die Geschichte verwandter sozialer Bewegungen weltweit«. Für Forschungen zu diesen Themenkreisen möchte die ITH als globales Netzwerk fungieren. »Grenzüberschreitende ArbeitInnengeschichte« soll die Rahmenthematik für die Jahre 2007 bis 2009 bilden. Das Thema für 2007 lautet:...

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