Auf schnellen Kufen rund um Rügen

Eine Segelschule bietet geführte Katamaran-Touren rund um Deutschlands größte Insel an

  • Nick Vogler
  • Lesedauer: 5 Min.
Kentern gehört zum Katamaran fahren dazu. Richtig Umkippen will gelernt sein, behutsam zwischen dem sich neigenden Segel und den zwei Bootsrümpfen ins Wasser gleiten, dabei das Sport-Schiff möglichst nicht loslassen: Es könnte schneller davon treiben, als es der beste Schwimmer einholen kann. Leute, die es lieben, auf den schnellen Katamaranen zu segeln, wissen das natürlich. Aber zwischen Theorie und Praxis gibt es Unterschiede, außerdem startet die Umrundung Deutschlands größter Insel genau am Rügendamm, unter dem die rund zehn Meter hohen Masten einfach nicht durchpassen wollen. Also: Einmal kentern bitte!
Brav hebt sich der Rumpf, der aus zwei Kufen mit einem dazwischen gespannten Netz besteht, aus dem Wasser. Das Segel klatscht auf die Wellen - geschafft. Vom Schlauchboot gezogen, gehts ein Stück an Stralsunds Stadtkulisse mit gotischen Giebeln und großen Kirchen vorbei und unter der Brücke hindurch.
Vier Tage sind für die rund 220 Kilometer Strecke geplant, der Wind kommt von vorn, es wird viel gekreuzt. Am Ende werden die Segler rund 350 Kilometer bewältigt, drei Mal gezeltet und etliche Male die Boote wieder aufgerichtet haben.
Der Wind auf dem Greifswalder Bodden frischt auf. Tour-Guide Tom Hausch kennt die Gefahrenstellen der Route, weiß, wo Untiefen und versteckte Steine oder hinderliche Seegraswiesen lauern. Ohne Führung und Begleitboot wäre so eine Tour viel zu gefährlich, findet selbst der 64-jährige Volker Riede aus Berlin. Er traut sich einiges zu, hat die Segelreviere der Welt durchprobiert. Ob türkische Ägäis, Mittelmeer in Tunesien, Rotes Meer in Ägypten. Doch so ein Tourangebot wie das Rügener habe er noch nirgends gefunden, sagt er. »Sonst hätte ich es längst ausprobiert.«
Flott gleiten die schlanken Rümpfe durchs Wasser. Zu zweit werden die Katamarane gesegelt, einer ist für Großsegel und Steuer verantwortlich, der andere bedient das Vorsegel und hilft, das Boot zu trimmen. Das heißt, er verbringt bei rasanter Fahrt die meiste Zeit außerhalb des Bootes, in einem Gurt an die Wanten gehängt, mit den Füßen am Schwimmkörper abgestützt. Fast waagerecht hängt man im Trapez, oben der Himmel, unten die Wellen.
Es rauscht, es weht, es spritzt. »Eine gute Sache, den Kopf frei zu bekommen«, sagt Christian Schwendy aus München. Er hat zu Hause sogar einen eigenen Kat. »Aber was ist der Ammersee im Vergleich zur Ostsee«, sagt er, zieht tief die salzige Luft in die Lungen und schaut auf die Küste Rügens. Dann ruft er am Steuer: »Klar zur Wende« und der Vorschotmann kraxelt fürs Manöver ins Boot.
Die Wogen werden kräftiger, meterhoch sagen die Segler hinterher stolz. Längst haben die Muskeln die kurze Pause am Palmer Ort, dem südlichsten Rügenzipfel, vergessen. Das Steuer zerrt an den Armen, die Schot reibt an den Händen. »Dit is dit, wo ick blitzende Augen krieje«, berlinert Volker und wünscht sich ein Foto vom gewagten Surfen auf der Katamaran-Kufe.
Am Strand von Thiessow wartet aufgeregt der vierjährige Nils Wrege. Der Knirps aus Wolfenbüttel hat die fünf Katamarane schon von weitem gesehen, er beobachtet, wie die zwölf Segler, die in ihren schützenden Neopren-Anzügen wie Außerirdische wirken, erschöpft die Boote an Land ziehen. Sein Vater hat ihm einen Holz-Katamaran gebastelt, den trägt Nils bei sich und träumt davon, später auf einem echten zu fahren.
Das muss gar nicht immer ein wildes Erlebnis sein. Am zweiten Tag fällt der Wind fast komplett aus. Ganz beschaulich schaukeln sich die Boote vorwärts. Die Karavane schippert um die Halbinsel Mönchgut, passiert später Prora. In Zeitlupe gehts vorbei am Fährhafen Sassnitz, an den Kreidefelsen und an Lohme, wo ein Klinikgebäude nach Küstenabbrüchen im vergangenen Jahr bedrohlich dicht an der Steiluferkante steht.
Nach der Ankunft in Glowe erzählen sich die Segler Geschichten von Mast- und Schotbruch, und Volker hat das alles schon erlebt - sagt er. »Rumms, als wenn ein Blitz einschlägt und dann liegste im Wasser.«
Die Fischer in Glowe sind lange vor den Seglern auf den Beinen. Sie pulen die Flundern aus den Netzen, schimpfen auf Kormoran und Dorschquote, sagen aber guten Wind voraus. Der treibt die Rügenumsegler um Kap Arkona mit dem Leuchtturm, den Baumeister Karl-Friedrich Schinkel 1826 gebaut hat. Zügig gehts nach Hiddensee. »Das ist fast besser als Skifahren«, schwärmt die Österreicherin Ursula Schweighard, und das wolle bei ihr etwas heißen.
Letzte Nacht, gemeinsames Sonnenuntergangserlebnis mit Bier am Strand. Am Horizont ist bereits die Stralsunder Volkswerft zu sehen, das letzte Stück ist morgen schnell geschafft. »Wer einmal um Rügen gesegelt ist, möchte das immer wieder«, sagt Knut Kuntoff, Chef der Segelschule in Altefähr, zufrieden. Nächstes Jahr will er die Katamaran-Flotte erweitern, die geführten Touren seien ein einträgliches Geschäft.
Zum Abschied umarmen sich die Segler. »Bis bald«, sagen viele. Und Ursula meint, man sei doch jetzt ein große Familie.

Infos: Sail & Surf Rügen, Fähranleger, 18573 Altefähr,Tel.: (038306) 23 253,E-Mail : info@segelschule-ruegen.de, www.sail-surf-ruegen.de
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal