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Lebensbogen am Liepnitzsee

GELESEN

Im Sommer kommen die Berliner zum Baden her, sonst gehen dort vor allem die Bewohner der umliegenden Orte spazieren. Es mache den Liepnitzsee liebenswert, dass »fragwürdiger maritimer Luxus« hier nicht zugelassen sei, berichtet Achim Rosenhahn. Er selbst lebt in Zepernick und läuft die Runde um den See immer wieder, fotografiert, hängt seinen Gedanken nach. Unter dem schlichten Titel »Liepnitzsee« hat er Bilder und Reflexionen zusammengestellt und veröffentlicht.

Es ist nicht das, was der Leser vielleicht erwartet. Es ist kein Reiseführer und kein Bildband. Touristinformationen fehlen, sieht man einmal von einer kleinen Anfahrtsskizze ab. Achtung! Das Buch eignet sich auch nicht dazu, darin zu blättern, etwas Erbauliches zu suchen, hier ein Stück zu lesen und dort ein Stück. Denn Rosenhahns Reflexionen sind nicht von der Art, dass sie sich auf diese Weise erschließen würden. Einzeln wirken sie zwar nicht völlig belanglos, aber zufällig. Da geht also irgendein Mensch spazieren und sinnt über dies und jenes nach. Aber wen soll das interessieren? Jeder hat schließlich seinen eigenen Blickwinkel, seine eigenen Gedanken.

Der Leser muss sich die Zeit nehmen, muss eintauchen. Dann offenbart sich die interessante Gedankenwelt eines Mannes, der alt wird und sich seine Vergänglichkeit vergegenwärtigt. »Viele Menschen verbieten sich den Blick auf ihr Lebensende«, schreibt Rosenhahn. »Sie verwalten den kleiner werden Rest an Lebenszeit, ohne das Ende wirklich zu akzeptieren. Mir scheint, sie verwehren sich dadurch die Möglichkeit, den berühmten Lebensbogen bewusst in seiner natürlichen Folge bis zum Ende zu gehen.«

Von dieser Warte eines Menschen jenseits der 60 erschließen sich die Texte. Sie reichen von der Erinnerung an eine glückliche Zeit im Kindergarten der »östlichen Republik« bis zur Reflexion über die Entwertung von Lebenserfahrung durch das rasende Tempo der technischen Entwicklung. Tante Frida warnte den kleinen Achim vor nunmehr einem halben Jahrhundert: »Nach dem Verzehr von Äpfeln niemals Wasser trinken - sonst stirbt man.« Achim hält das jahrzehntelang für einen Aberglauben. Doch dann rehabilitiert eine Radiosendung die Tante lange nach ihrem Tod. Früher, als die Qualität des Trinkwassers mangelhaft war, konnte das Wassertrinken nach dem Apfelessen tatsächlich unangenehme Folgen haben.

Immer wieder kommt Rosenhahn auf das Altern und die Endlichkeit zurück. Bei der Lektüre verfestigt sich von Seite zu Seite der Eindruck, dass die Bilder vom Liepnitzsee im Frühling, im Sommer, im Herbst und im Winter in Beziehung dazu stehen, dass sie das Werden und Vergehen symbolisieren, Kreisläufe der Natur genauso zeigen wie sie Sinnbild des Lebensbogens sind. Rosenhahn ist nur irgendein Spaziergänger, geboren 1948 in Jena, Studium der Regelungstechnik in Moskau. Mehr verrät der Einband nicht. Aber jetzt würde man doch gern mehr über ihn wissen.

Achim Rosenhahn: Liepnitzsee, Edition Pfingstberg, 32 Euro

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