Sondertreffen der Eurozone vertagt

Gläubiger: Unternehmen entlasten, Rentner belasten / Einigung mit Griechenland: Stellt sich der IWF quer? / Ärzte fordern Stopp der »tödlichen Austeritätspolitik« / Piketty fordert Schuldenkonferenz für Europa

  • Lesedauer: 9 Min.

Update 23 Uhr: Sondertreffen der Eurozone vertagt
Nach nicht einmal einer Stunde haben die Finanzminister der Eurozone am Mittwochabend ihr Sondertreffen ergebnislos vertagt. Die Sitzung werde am Donnerstag um 13 Uhr fortgesetzt, sagte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Verhandlungen Athens mit den Gläubiger-Institutionen über geforderte Kürzungsmaßnahmen hatten keine Einigung erzielt. »Wir sind noch nicht zu einer Einigung gekommen«, sagte Dijsselbloem. »Aber wir sind entschlossen weiterzuarbeiten, um das zu tun, was nötig ist.« Athen hatte Anfang der Woche neue Vorschläge für geforderte Bedingungen präsentiert, diese waren zunächst als gute Diskussionsgrundlage bezeichnet worden - dann wollten die Gläubiger, vor allem der IWF, aber noch in mehreren Bereichen Verschärfungen durchsetzen. Dazu liefen den ganzen Mittwoch über Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den Institutionen. Der griechische Ministerpräsident Tsipras führte am Nachmittag persönlich Gespräche mit Dijsselbloem sowie den Spitzen von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB), IWF und Euro-Rettungsfonds. IWF-Chefin Christine Lagarde sei in den Verhandlungen »sehr hart«, hieß es dann aus der griechischen Delegation in Brüssel. Die Gegenvorschläge der Gläubiger seien eine »böse Überraschung«. So wollten sie weder höhere Unternehmerabgaben noch eine Steuer auf Unternehmensgewinne oder Online-Glücksspiele. Die Frage der Schuldentragfähigkeit werde zwar angesprochen, die Gläubiger wollen aber erst nach einem Abschluss des laufenden Kreditprogramms darüber sprechen. Für den späten Mittwochabend (23.00 Uhr) sei nun ein erneutes Spitzentreffen mit Tsipras angesetzt, sagte ein EU-Vertreter nach dem vertagten Ministertreffen. Daran sollten neben Juncker auch Dijsselbloem, der für den Euro zuständige Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis und EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici teilnehmen.

Update 15.35 Uhr: Gläubiger wollen Umverteilung ausbremsen
In Brüssel wird weiter über eine Einigung zwischen der SYRIZA-geführten Regierung und den Gläubigern gerungen. Berichten zufolge haben diese in einem Gegenvorschlag zu den am Montag eingereichten Plänen Athens darauf gedrängt, dass die Unternehmenssteuer nur auf 28 statt auf 29 Prozent steigt. Zudem, so das »Wall Street Journal«, würde wohl der Vorschlag einer Extrasteuer auf Profite ab 500.000 Euro nicht auf Akzeptanz bei den Gläubigern stoßen. Wenn die daraus erwarteten Einnahmen fehlen, müsste die griechische Regierung an anderer Stelle nach neuen Einnahmequellen suchen oder anderswo weitere Kürzungen im Etat vornehmen. Auch beim Thema Mehrwertsteuer drängen die Gläubiger offenbar auf größere Belastungen – so sollen die zusätzlichen Gesamteinnahmen 2016 bei einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen, die Vorschläge aus Athen hatten Einnahmen in Höhe von 0,74 Prozent des BIP vorgesehen. Die Massensteuer würde insbesondere die einfache Bevölkerung treffen. Auch soll der IWF mehr Kürzungen bei den Rentenausgaben verlangen.

Update 15.20 Uhr: Berlin will Lösung nur mit dem IWF
Vor dem Hintergrund der Kritik an der ablehnenden Haltung vor allem des Internationalen Währungsfonds gegenüber den Vorschlägen der griechischen Regierung, hat die Bundesregierung auf eine Beteiligung des IWF an einer Einigung gepocht. »Für uns ist eine Lösung ohne den IWF nicht denkbar«, verlautete am Mittwoch aus Regierungskreisen in Berlin. »Daran wird sich auch in den kommenden Tagen nichts ändern«, hieß es mit Blick auf Berichte, wonach der IWF gegenüber Athen eine härtere Linie verfolge als die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB). Die Frage von Schuldenerleichterungen für Athen sei derzeit kein Thema. Ob beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag Griechenland Thema sein werde, hänge auch von den Verhandlungen der Euro-Finanzminister ab, die am Mittwochabend in Brüssel beginnen sollten. Am besten wäre es, wenn den Staats- und Regierungschefs eine zuvor erzielte Einigung der Euro-Finanzminister vorliegen würde. Wenn nicht, müsse man sehen: »Warten wir es ab«, hieß es.

Update 12.25 Uhr: Tsipras kritisiert Haltung der Gläubiger
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat vor seinem Abflug nach Brüssel die Haltung der Gläubiger zu den griechischen Reformvorschlägen kritisiert. Athen habe Maßnahmen präsentiert, die den Anforderungen der Gläubiger genügten, sagte Tsipras am Mittwoch nach Informationen aus Regierungskreisen. Nach übereinstimmenden Berichten der griechischen Presse soll der Internationale Währungsfonds (IWF) zahlreiche Athener Vorhaben als Maßnahmen kritisiert haben, die die Rezession förderten. Tsipras bezweifele das Interesse der Geldgeber an einer Einigung.

Update 12 Uhr: Piketty fordert Schuldenkonferenz für Europa
Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty sieht in der Griechenland-Debatte auch die Verschuldung anderer Euroländer als Problemfall. »Wir brauchen eine Konferenz über die gesamten Schulden Europas wie nach dem Zweiten Weltkrieg«, sagte der französische Ökonom in einem Interview der Wochenzeitung »Die Zeit«. »Eine Restrukturierung der Schulden ist nicht nur in Griechenland, sondern in vielen europäischen Ländern unvermeidlich.« Der Autor des Bestsellers »Das Kapital im 21. Jahrhundert« kritisiert die Haltung der Bundesregierung in der Griechenland-Frage. »Die Demokratie in Europa zu unterlaufen, wie es Deutschland heute macht, indem es auf die vor allem von Berlin durchgepowerten Regelautomatismen bei der Verschuldung von Staaten besteht, ist ein großer Fehler«, argumentiert Piketty. Die Haltung der Bundesrepublik kritisiert Piketty offen: »Die Demokratie in Europa zu unterlaufen, wie es Deutschland heute macht, indem es auf die vor allem von Berlin durchgepowerten Regelautomatismen bei der Verschuldung von Staaten besteht, ist ein großer Fehler.« Und weiter: »Wenn ich die Deutschen heute sagen höre, dass sie einen sehr moralischen Umgang mit Schulden pflegen und fest daran glauben, dass Schulden zurückgezahlt werden müssen, dann denke ich: Das ist doch ein großer Witz! Deutschland ist das Land, das nie seine Schulden bezahlt hat. Es kann darin anderen Ländern keine Lektionen erteilen.« Europa brauche eine neue demokratische Institution, die über das zulässige Schuldenniveau entscheide, um einen Wiederanstieg der Schulden auszuschließen. »Das könnte zum Beispiel eine europäische Parlamentskammer sein, die aus den nationalen Parlamenten hervorgeht«, schlägt Piketty vor.

Update 11.45 Uhr: Gläubiger stimmen sich vor Treffen mit Tsipras ab
Vor dem Griechenland-Treffen der Euro-Finanzminister stimmen sich die Gläubiger noch einmal auf Spitzenebene ab. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker trifft am Mittag um 12 Uhr in Brüssel den Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und den Chef des Eurorettungsschirms ESM, Klaus Regling. Das bestätigten EU-Diplomaten. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras werde gegen 13 Uhr hinzustoßen, »nachdem die Institutionen zunächst untereinander diskutiert haben«.

Update 10.40 Uhr: Ärzte fordern Stopp der »Tödlichen Austeritätspolitik«
Deutsche Ärztinnen und Ärzte haben die Bundesregierung aufgefordert, »die Austeritätspolitik zu stoppen«. Der SYRIZA-geführten Regierung in Athen solle »die Möglichkeit gegeben werden, der humanitären Katastrophe in ihrem Land zu begegnen«, hieß es in einer Erklärung, die im Anschluss an eine Reise des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte, die eine Delegation Anfang Juni nach Athen geführt hatte, veröffentlicht wurde. Die mitreisenden Ärzte, darunter auch Mitglieder der IPPNW, seien »schockiert über das Ausmaß der humanitären Krise in Griechenland: Sparpolitik und die darauf folgende grassierende Arbeitslosigkeit haben jeden dritten Griechen aus der Krankenversicherung ausgeschlossen«. Auch herrsche »ein eklatanter Personalmangel, da aufgrund der Austeritätspolitik kein Fachpersonal eingestellt werden kann«. Im General Hospital of Athens müssten »Patienten mit unterschiedlichsten psychiatrischen Diagnosen auf dem Flur nächtigen«, während ein »Stockwerk direkt über der überfüllten Station leer steht. Die Möblierung könne nicht bezahlt und das zur Versorgung der Patienten notwendige Personal nicht eingestellt werden«, hatte dies die Chefärztin der Abteilung erklärt. Die Ärzte verwiesen außerdem auf das Fehlen lebensnotwendiger Medikamente, eine steigende Säuglingssterblichkeit und die Zunahme anderer Erkrankungen sowie den drastischen Anstieg von schweren Depressionen. »Dass die Troika die schwere Krise des Gesundheits- und Sozialsystems völlig ausblendet, können die Ärztinnen und Ärzte nur als menschenverachtend bewerten«, heißt es in der Erklärung. »Gesundheits-, Bildungs- und Sozialpolitik müssen vor Schuldendienst stehen, deshalb fordern wir den Stopp der maßgeblich von der deutschen Regierung voran getriebenen tödlichen Austeritätspolitik«, so der Vorsitzende des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte, Wulf Dietrich.

Griechenland: Stellt sich der IWF quer?

Berlin. Bei einem Treffen in Brüssel vor neuen Gesprächen in der Eurogruppe will Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras mit den Vertretern der Gläubiger über eine mögliche Einigung im Streit um das blockierte Kreditprogramm beraten. Die Euro-Finanzminister wollen am Abend über eine mögliche Verlängerung des laufenden Kreditprogramms beraten.

Dazu hatte Athen abermals Vorschläge präsentiert – die von EU-Kommission und Euro-Gruppe als gute Diskussionsgrundlage bezeichnet wurden, nachdem monatelang jeder Vorschlag aus Athen zurückgewiesen worden war. Nun stellt sich aber offenbar der Internationale Währungsfonds quer. Berichten zufolge soll der IWF mit dem Papier der SYRIZA-geführten Regierung unzufrieden sein.

Athen: Die nächsten 48 Stunden werden entscheidend sein
EZB hebt ELA-Rahmen erneut an - aber im EZB-Rat wächst Widerstand gegen Notkredite / Vorschläge aus Athen von Gläubigern als »Diskussionsgrundlage« akzeptiert / SYRIZA-Abgeordnete kündigten Nein an – der Newsblog vom Dienstag zum Nachlesen

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommt. Die Auszahlung der verbliebenen Kredittranche sei aber nur Voraussetzung für weitere Schritte, »damit Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt«, sagte Schulz der dpa. »Nötig hierzu sind Investitionen«, betonte er. Ein wichtiger Teil davon könne aus dem Investitionspaket finanziert werden, auf das sich Europäisches Parlament und die EU-Kommission geeinigt haben. Auch der griechische Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis sagte, man sei nahe an einer Einigung.

Gelingt den Finanzministern der Kompromiss, könnten die EU-Staats- und Regierungschefs die Pläne beim regulären EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel gutheißen. Allerdings muss auch das Parlament in Athen die Pläne billigen. Passiere das nicht, könnte es vorgezogene Neuwahlen geben, sagte Sakellaridis. Mehrere Abgeordnete des linken Flügels von SYRIZA erklärten bereits, dass sie dem neuen Programm nicht zustimmen wollen. Teile der Opposition könnten hingegen für die Maßnahmen stimmen. Möglicherweise findet das Votum an diesem Wochenende statt.

Auch mehrere nationale Parlamente anderer Euro-Staaten müssen einer Verlängerung oder Veränderung des Kreditprogramms für Griechenland zustimmen, darunter in Deutschland. Der Bundestag könnte vom kommenden Montag an über die Hilfen abstimmen - gerade noch rechtzeitig in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause. Einige Unionsabgeordnete stellen sich aber quer. »Dass wir am Montag oder Dienstag irgendwas beschließen, halte ich nicht für machbar«, sagte der CDU-Finanzexperte Olav Gutting der Zeitung »Bild«. Man habe »bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass wir nicht bereit sind, innerhalb von kürzester Zeit etwas zu beschließen«. Der CSU-Obmann im Finanzausschuss, Hans Michelbach, sagte dem Blatt, die Athen habe sich in den Verhandlungen mit den Gläubigern »zu viel Zeit« gelassen. »Damit kann kein weiteres Geld fließen.« Agenturen/nd

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