Nicht nur ein Problem Athens

NGOs, linke Parteien und Tausende Bürger fordern eine Schuldenkonferenz für Europa

  • Vincent Körner
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Konflikt um das laufende Kreditprogramm für Griechenland sorgt seit Tagen für Aufregung. Dahinter verschwindet etwa, dass das Schuldenproblem viel größer ist - nicht nur in Griechenland.

Was haben der französische Ökonom Thomas Piketty, das globalisierungskritische Netzwerk Attac und »Erlassjahr«, das größte entwicklungspolitische Bündnis in Deutschland, gemeinsam? Sie alle fordern eine europäische Konferenz, bei der über einen umfassenden Schuldenschnitt für Griechenland und andere Staaten beraten werden soll.

Das Thema Schuldenerleichterung hatte bei den seit Tagen anhaltenden Verhandlungen über die Bedingungen, welche die Gläubiger Griechenland auferlegen wollen, um im Gegenzug einige Milliarden Euro auszuzahlen, kaum eine Rolle gespielt. Zwar drängte die SYRIZA-geführte Regierung von Beginn ihrer Amtszeit an erst auf einen Schuldenschnitt, später auf eine Erleichterung beim Schuldendienst durch Verschiebung oder Umstrukturierung der Belastungen, wenigstens aber auf eine Koppelung des Schuldendienstes an das Wirtschaftswachstum. Vergeblich.

Schon 2013 meinte Alexis Tsipras, inzwischen Premier in Athen, es sei noch nie »so dringlich wie jetzt, eine globale, solidarische und dauerhafte Lösung für das Schuldenproblem zu finden«. Jeder weitere Aufschub habe »nur zur Folge, dass die wirtschaftlichen und sozialen Kosten weiter ansteigen«.

Doch davon wollten bisher insbesondere der Internationale Währungsfonds, sofern es seine Positionen als Gläubiger anging, und die anderen Gläubiger, vor allem die Bundesregierung, nichts wissen. Eine Schuldenerleichterung sei »derzeit« kein Thema, hieß es immer wieder.

Für über 12 000 Unterstützer einer Petition, die vor einigen Tagen vom Bündnis »Erlassjahr« auf den Weg gebracht wurde, ist die Frage der Entschuldung dagegen genau das: ein sehr drängendes Thema. »Die Gläubiger müssen endlich einsehen, dass kein Weg an einem umfassenden Schuldenschnitt vorbeiführt«, sagt Jürgen Kaiser, Koordinator von »Erlassjahr«. 2010 hätten die Regierungen im Fall Griechenland »mit dem ersten sogenannten Rettungspaket dem schlechten Geld der Banken das gute Geld der Steuerzahler hinterhergeworfen«. Der dann 2012 gewährte Schuldenschnitt durch den Privatsektor reiche nicht aus. »Ein wirklicher Neuanfang hätte einen Erlass von mindestens 50 Prozent aller Forderungen erfordert«, so Kaiser.

Auch die Nichtregierungsorganisation WEED fordert längst die Streichung »untragbar gewordener und ungerechter Schulden« sowie »neue internationale Regeln für die faire und zügige Lösung von Schuldenkrisen«. Es fehle zudem an einem geordneten Insolvenzverfahren für Staaten, meint Markus Henn von der Organisation. Mit einem solchen Verfahren, das derzeit in den Vereinten Nationen auf Initiative der Entwicklungs- und Schwellenländer diskutiert werde, »könnte die Eurozone die Krise längst hinter sich haben«.

Denn das Problem hat nicht nur Griechenland: Auch viele andere europäische Staaten sind hoch verschuldet, so haben etwa auch Italien, Portugal, Irland, Zypern und Belgien eine Staatsschuldenquote von über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Deutschland erreichte 2014 eine Schuldenhöhe von knapp 75 Prozent des BIP.

Ergebnis der Schuldenkonferenz könnten sogenannte Schuldenaudits sein, also Überprüfungen der aktuellen Lage, die dann zu Erlässen führen, deren Kosten diejenigen Banken und Finanzinstitutionen tragen sollen, »die von den sogenannten Rettungspaketen in Wahrheit profitiert haben«, wie es in der Petition heißt.

Wissenschaftliche Unterstützung kommt vom französischen Ökonom Piketty, der mit seinem Buch über »Das Kapital im 21. Jahrhundert« bekannt wurde - und ebenfalls eine Schuldenkonferenz für Europa fordert. Ein solches Treffen »über die gesamten Schulden Europas« sei heute so nötig wie dies nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall gewesen sei.

»Eine Restrukturierung der Schulden ist nicht nur in Griechenland, sondern in vielen europäischen Ländern unvermeidlich«, sagte Piketty jetzt gegenüber der »Zeit«. Sein Vorschlag: eine neue, demokratisch bestimmte europäische Institution, »die über das zulässige Schuldenniveau entscheidet, um einen Wiederanstieg der Schulden auszuschließen«. Der Franzose könnte sich hier zum Beispiel »eine europäische Parlamentskammer« vorstellen, »die aus den nationalen Parlamenten hervorgeht«.

Piketty argumentiert nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch demokratiepolitisch. Es unterlaufe die Demokratie in Europa, wenn innerhalb der EU auf »vor allem von Berlin durchgepowerten Regelautomatismen bei der Verschuldung von Staaten« bestanden werde. Statt anderen Staaten »Lektionen« zu erteilen solle sich Kanzlerin Angela Merkel für einen Neustart einsetzen. Dann könne man »bei null neu anfangen. Aber dann mit einer neuen, sehr viel strengeren Haushaltsdisziplin als früher.«

Die Idee einer Schuldenkonferenz hat auch in linken Parteien Anhänger. Theodoros Paraskevopoulos, einer der ökonomischen Köpfe von SYRIZA, hat sich ebenso bereits für eine Schuldenkonferenz ausgesprochen wie die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping. Schon im Frühjahr pochte sie darauf, dass es eine gemeinsame europäische Verständigung darüber gibt, was angesichts der Schulden »der richtige Weg wäre«.

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