Prekäre Wissenschaft

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Bundestagausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hatte vergangenen Montag zu einer öffentlichen Anhörung geladen. Thema war «Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes». Nachwuchswissenschaftler haben keine Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz für ihre Karriere, heißt es auf bundestag.de. In der Anhörung trat eine Kluft zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter auf. Der Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller, forderte «Mindeststandards bei befristeten Verträgen» und Matthias Neis von ver.di anstelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eine «bundesweite gesetzliche Regelung», die auf «gute Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich» ziele. Dem entgegengesetzt vertrat unter anderem die Vizepräsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Rektorin der Universität Greifswald, Johanna Eleonore Weber die Ansicht, dass «enorm viel getan» werde. Und schob hinterher: «Verlässlichkeit und Transparenz heißt für eine Hochschule nicht automatisch, eine Dauerstelle anzubieten. Es ist für den wissenschaftlichen Nachwuchs durchaus sinnvoll, verschiedene Karrierewege kennen zu lernen». Und der stellvertretende Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft München, Rüdiger Willems, sieht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz eine «große Rechtssicherheit für alle Beteiligten».

zeit.de ließ Wissenschaftler zu Wort kommen, die die Aushöhlung der Wissenschaft als solche beklagen. Die Politologin Barbara Zehnpfennig schreibt, dass man unter dem Druck des internationalen Wettbewerbs sich «profilieren und »zeigen« müsse. Es ginge um viele internationale Kontakte, die man vorweisen müsse, viele Drittmittel, die wiederum abhängig seien vom hohen Druck der Veröffentlichung und Präsentation. Sie nennt den Zustand »Terror des Sichtbaren«. Der Jurist Andreas Fischer-Lescano weist auf den Juristen und Soziologen Niklas Luhmann hin, der eine Tätigkeit als unwissenschaftlich erklärt, wenn ihr die »Distanz zum Untersuchungsfeld« fehle. »Die Wissenschaft dürfe ihrem Gegenstand nicht auf den Leim gehen, sich durch ihn nicht missbrauchen lassen.« Deshalb seien staatliche Vorgaben genauso nachteilig wie »Verflechtungen mit der Wirtschaft und Drittmittelabhängigkeiten«.

Dass dem Zweifel in der Wissenschaft kein Raum mehr gegeben werde, beklagt ein Biologe. Nicht eine profunde Antwort sei Maßstab zur Beendigung eines Projekts, sondern das Auslaufen der Drittmittelförderung nach zwei bis drei Jahren. Der Sprachwissenschaftler Marcus Kracht erstickt in der Verwaltung der Antragsflut für Drittmittel. Man stelle die falschen Fragen. Als Computerlinguist und Logiker sehe er, »wie fragil unser Wissen« sei, weshalb die Risiken der Wissensgesellschaft in den Fokus müssten. Wir bräuchten ein Umdenken der »gesamten Kultur«. Auch Universitäten müssten sich verändern, denn ihre Forschung sei auch Motor dieser Entwicklung. »Der ganze Campus müsste vibrieren in der Auseinandersetzung mit solchen Fragen.« Lena Tietgen

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