Ein Geschenk, das die Bürokratie gefressen hat

IHK stellt Forderungskatalog zur besseren Integration von Flüchtlingen in den Berliner Arbeitsmarkt auf

Die Zeit, die Flüchtlinge in Berlin verbringen, um auf eine Reaktion aus den Behörden zu warten, könnte sinnvoller genutzt werden. Findet die Industrie- und Handelskammer Berlin.

Kritik am Umgang mit Flüchtlingen in Berlin kam bisher meist aus den Reihen der Oppositionsparteien, vom Flüchtlingsrat oder Unterstützerorganisationen. Nun macht die Industrie- und Handelkammer Berlin (IHK) ein weiteres Feld auf, das zeigt, wie weit weg der Senat von einem Masterplan im Umgang mit den Menschen entfernt ist. In einem am Dienstag vorgelegten Sechs-Punkte-Forderungskatalog seziert die IHK Mängel im bürokratischen Prozedere, die eine schnelle Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt verhindern - und damit weit bessere Chancen auf ein Bleiberecht.

Für den Forderungskatalog haben Mitarbeiter der IHK Traglufthallen, die Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am Spandauer Askanierring sowie das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) besucht und eine Bestandsaufnahme erstellt. Herausgekommen ist zunächst nichts Überraschendes: Die Behörden auf Bundes- und Landesebene stehen sich nahezu überall im Weg. Die Kammer leitet aber aus jedem von ihr ausgemachten Bremsklotz im Verlauf eines Asylverfahren einen konkreten Handlungsvorschlag ab. Der Fachkräftemangel und Tausende regelmäßig nicht besetzte Ausbildungsplätze haben die IHK zu dem Papier getrieben. »Diese Menschen sind ein Geschenk für den Berliner Arbeitsmarkt. Ihr Potenzial kann allerdings überhaupt nicht ausgeschöpft werden«, sagt Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin. So würde bei der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge beim LAGeSo überhaupt nicht erfasst, welche Sprachkenntnisse und Berufserfahrung ein Flüchtling mitbringe, sagt Constantin Terton, Bereichsleiter bei der IHK und Hauptverantwortlicher für das Forderungspapier. Wertvolle Infos für die Bearbeitung des Asylantrages beim BAMF fehlen. Stattdessen werde Zeit verplempert, während die Flüchtlinge auf die Prüfung ihrer Dublin-Verfahren warten, was bis zu fünf Wochen dauern kann. Zwar seien die gelockerten Fristen, die seit November 2014 beim Zugang zum Arbeitsmarkt gelten, ein erster Schritt. Die Vorrangprüfung, wonach ein Flüchtling eine Stelle erst bekommt, wenn die kein Deutscher oder EU-Ausländer haben will, gelte jedoch weiterhin bis zu 15 Monate und sei ein großes Hemmnis. Der Zugang zu Sprachkursen müsse außerdem erheblich ausgebaut werden, sagt Terton, insbesondere die Angebote für Flüchtlinge, die noch im Asylverfahren stecken. Allein um die von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) prognostizierten 25 000 zusätzlichen Flüchtlinge in diesem Jahr mit einem Angebot zu versorgen, müssten laut IHK 31 Millionen Euro ausgegeben werden.

Um alle Beteiligten besser zu vernetzten, hat die IHK angeregt, in der Berliner Außenstelle des BAMF zwei Berater des Arbeitsamtes einzusetzen, die berufliche Interessen und Qualifikationen abfragen, um in Arbeitsmarktprojekte für Flüchtlinge zu vermitteln. Im August soll das Projekt beginnen. »Die Flüchtlinge wissen überhaupt nicht, was es für Möglichkeiten gibt«, sagt Terton. In die Anerkennungsberatung der IHK zu ausländischen Berufsabschlüssen sei jedenfalls noch kaum einer gekommen.

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