»Unser Kampf ist nicht erfolglos«

Ester Utjiua Muinjangue: Die deutsche Regierung muss den Völkermord anerkennen

  • Lesedauer: 5 Min.
Ester Utjiua Muinjangue war mehr als 15 Jahre Sozialarbeiterin und ist seit 1996 Dozentin für »Social work Management« an der University of Namibia (UNAM). Sie ist Vorsitzende der OvaHerero and Ovambanderu Genocide Foundation, einer Organisation die sich für die Anerkennung des ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika einsetzt. Über den aktuellen Stand 
und ihre Forderungen sprach mit ihr Andreas Bohne.

nd: Sie nehmen als Teil einer namibischen Delegation an Veranstaltungen des Bündnisses »Völkermord verjährt nicht!« zum 100. Jahrestages des Endes der deutschen Kolonialherrschaft im heutigen Namibia teil. Was sind Ihre Gefühle und Gedanken angesichts des Datums?

Es ist sehr spannend zu beobachten, dass der Genozid an den OvaHerero und Nama nicht länger nur als eine lokale Angelegenheit verstanden wird, sondern zunehmend auf der internationalen Bühne diskutiert wird. Es ist gut zu wissen, dass er gerade in Deutschland ein Thema ist und nicht nur außerhalb der deutschen Grenzen wahrgenommen wird. Persönlich glaube ich, dass es notwendig ist, die Vergangenheit in Erinnerung zu bringen, um der Gegenwart einen Sinn zu geben und um uns selbst von der Vergangenheit zu befreien.

Mord durch Verdurstenlassen

Vor allem aufgrund existenzieller Nöte erhoben sich in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika im Januar 1904 die Herero gegen die Kolonialmacht und griffen koloniale Institutionen an. Eine 15 000 Soldaten umfassende Streitmacht unter  Generalleutnant Lothar von Trotha schlug die Rebellion innerhalb weniger Monate militärisch nieder.

Im August 1904 versuchte Trotha in der »Schlacht am Waterberg«, das Gros der Herero einzukesseln und zu vernichten. Der größte Teil konnte jedoch in die fast wasserlose Omaheke-Wüste fliehen. Trotha ließ diese abriegeln und Flüchtlinge von Wasserstellen verjagen. Tausende Familien verdursteten. »Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes«, rühmte sich der Generalstab 1907. Daraufhin wagten im Oktober 1904 auch die Nama, die in Deutschland als »Hottentotten« bezeichnet wurden, einen Aufstand, der nach zwei Jahren endete.

Im Anschluss wurden viele Gefangene beider Völker in Lagern interniert, in denen fast jeder zweite Insasse starb. Der »Vernichtungsbefehl« Trothas, »keine männlichen Gefangenen zu machen« und Frauen wie Kinder aus dem von Deutschen kontrollierten Gebiet zu vertreiben, stieß auch in Berlin schon damals auf Abscheu und wurde im Dezember 1904 formal zurückgenommen. Trotha wurde militärisch ausgezeichnet, aber auf Wunsch des neuen Gouverneurs Friedrich von Lindequist 1905 als militärischer Befehlshaber abgelöst.

Von den 1904 etwa 80 000 bis 100 000 Herero lebten 1911 nur noch etwa 15 000, von den rund 20 000 Nama überlebte etwa die Hälfte. nd

Noch in der Opposition hat der jetzige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Regierung gedrängt, den Genozid in Namibia anzuerkennen und sich offiziell zu entschuldigen. In einer Antwort auf eine aktuelle Kleine Anfrage spricht die Regierung von »gut vorangekommenen« Gesprächen zwischen der namibischen Außenministerin und dem deutschen Außenminister und davon, dass »erstmals auch die Suche nach einer gemeinsamen Haltung und einer gemeinsamen Sprache in Bezug auf den grausamen Kolonialkrieg der Jahre 1904 bis 1908« begonnen wurde. Wie schätzen Sie das ein?
Solange es bei Gesprächen unter Regierungen bleibt, während die betroffenen OvaHerero und Nama Gemeinschaften ausgeschlossen werden, bin ich nicht überzeugt, dass es irgendeine Art von Fortschritt gibt. Die Aussagen der deutschen Regierung sind zudem sehr vage und unklar: »Gemeinsame Haltung und Sprache« in Bezug auf was? Wir können nicht vor Wörtern wie Völkermord oder Reparationen wegrennen. In offiziellen Papieren wird immer gesagt, die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia sind »speziell«. Aber ich frage mich immer, was dieses Spezielle ist? Das muss doch ausgesprochen und definiert werden. Was die Beziehungen aus meiner Sicht speziell machen ist der Völkermord 1904-1908.

Die deutsche Regierung argumentierte bis vor kurzem, dass der Völkermord an den OvaHerero und den Nama vor der Annahme der UN- Völkermordkonvention 1948 geschehen ist und daher nicht als ein solcher angesehen werden kann. Aber sowohl der deutsche Bundespräsident als auch Vertreter der politischen Parteien haben die Vernichtung der Armenier 1915 als Genozid bezeichnet und die Türkei aufgefordert, historische Verantwortung zu übernehmen.
Das sind doppelte Standards. 1915 war auch vor 1948. Was macht den Völkermord an den Armeniern anders als den Völkermord an den OvaHerero und Nama 1904 bis 1908? Wie kann man einen vor 1948 anerkennen und einen anderen nicht? Raphael Lemkin, der das Wort »Völkermord« prägte, sagte, er bringe einen neuen Namen für ein altes Verbrechen. Verbrechen werden heute, vor zwei Jahren oder vor noch längerer Zeit begangen. Man bleibt trotzdem schuldig.

Hage Geingob ist seit März 2015 Präsident von Namibia. Was ist seine Position zu der Frage des Völkermordes?
Er ist jetzt ungefähr 100 Tage im Amt. Bisher haben wir noch keine konkreten Aussagen von ihm gehört. Jedoch hoffen wir, dass er sich bald positioniert.

Das vergangene Mal besuchten Sie 2011 Berlin, um menschliche Gebeine Ihrer Vorfahren, die während des Völkermordes 1904 bis 1908 im Konzentrationslager getötet wurden, nach Hause zu holen. Anthropologische Institute in Deutschland besitzen bis heute Gebeine aus den früheren deutschen Kolonien, sind darunter auch noch welche aus Namibia?
Das ist eine schwere Frage für mich, denn ich weiß nicht, wie viele Schädel nach Deutschland gebracht wurden. Die deutschen Anthropologen sind sicherlich in der Lage, eine konkrete Antwort zu geben.
In Berlin wird zurzeit das Berliner Schloss der preußisch-deutschen Kolonialherrscher wieder aufgebaut. Die Kosten liegen bei 600 Millionen Euros. Im Schloss sollen die wertvollsten kulturellen Objekte, die im Zuge des Kolonialismus nach Deutschland kamen, ausgestellt werden.
Das ist sehr interessant: Was ist das Ziel der Ausstellung von Kulturobjekten aus Afrika? Für mich macht das keinen Sinn: Auf der einen Seite will die deutsche Regierung die Gräueltaten seiner Soldaten in Afrika nicht anerkennen, auf der anderen Seite bauen sie ein »Museum« mit den Gegenständen, die diese mitgebracht haben. Sie könnten die dafür nötigen Millionen auch als Reparationen an die OvaHerero und Nama zahlen.

Kritiker von Reparationen an OvaHerero und Nama für das von ihnen verlorene Land, die Güter und und das Vieh sagen, dass Entschädigungszahlungen »Tribalismus« (Stammestum) befördern würden. Was ist ihre Position dazu?
Was ist »Tribalismus« hierbei? Unserer Forderungen erfolgen angesichts eines Vernichtungsbefehls! Deutschland wusste auch von anderen ethnischen Gruppen in Namibia, aber sie haben die OvaHerero herausgegriffen und die Intention war, sie zu vernichten. Außerdem denken diese Stimmen nur an Geld. Wir sagen aber: lasst uns zusammensitzen und diskutieren. In bestimmten namibischen Gegenden leben jeweilige namibische Ethnien, wie im Süden von Namibia die Nama. Dort könnte man eine Universität bauen oder Gesundheitszentren errichten. Denken die Kritiker etwa, dass diese nur für die Nama und nicht für alle Namibier wären? Das ist ein schwaches Argument.

Was sind Ihre kurz-, mittel- und langfristigen Ziele?
Die kurzfristigen Forderungen sind klar: Anerkennung des Genozids und eine offizielle Entschuldigung durch den Deutschen Bundestag – nicht nur von einzelnen PolitikerInnen. Mittelfristig erwarten wir einen Dialog und Diskussionen zwischen den Beteiligten und dazu zähle ich nicht nur die namibische und deutsche Regierung, sondern auch VertreterInnen der OvaHerero und Nama. Hier gilt es, Erwartungen und Modalitäten zu besprechen. Und letztendlich gilt es langfristig, sich dem Kampf um die Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit (»restorative justice«) zu widmen, um Versöhnung zwischen allen Beteiligten, damit die Wunden endlich heilen können.

Der Völkermord fand vor mehr als 110 Jahre statt und Ihr – bisher erfolgloser – Kampf »restorative justice« läuft seit mehr als einer Dekade. Was motiviert Sie, weiter zu kämpfen?
Wir sind uns der Länge und Härte des Kampfes bewusst, aber wir sind entschlossen. Ich empfinde diesen Kampf nicht als erfolglos. Wir haben ein wenig spät begonnen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass dies eine gerechte Sache ist.

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