Skepsis statt Champagnerstimmung

Nicolai Hagedorn über vermeintliche Wirtschaftserfolge und steigende Schulden in den Krisenländern

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Rahmen der Verhandlungen mit Griechenland stützte sich die Bundesregierung zur Verteidigung ihrer Politik vor allem auf ein Argument: In allen anderen Krisenländern geht es aufwärts. Aber stimmt das?

Bei der Pressekonferenz im Anschluss an die Einigung mit der griechischen Regierung verwies Bundeskanzlerin Angela Merkel darauf, dass die von Deutschland in Europa seit Jahren durchgesetzte Sparpolitik überall zu Erfolgen geführt habe: »Man muss das immer wieder sagen: Es ist in ganz Europa jetzt Wachstum, Griechenland war am Anfang des Wachstums Ende des vergangenen Jahres, und die letzten sechs Monate kann man im Blick darauf nicht als erfolgreich bewerten.«

Wachstum in ganz Europa? Man muss es immer wieder sagen: Diese Darstellung der ökonomischen Entwicklung ist irreführend. Das verdeutlicht schon ein Blick auf die nach der Bundesrepublik größten Volkswirtschaften der Eurozone, nämlich Frankreich, Italien und Spanien.

Zwar haben die ersten drei Monate tatsächlich für fast alle großen Wirtschaftsräume Zuwachsraten gebracht. Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat verzeichneten Frankreich (0,7 Prozent), Italien (0,1 Prozent) und Spanien (2,6 Prozent) durchaus Wachstum. Allerdings ist die isolierte Betrachtung des Bruttoinlandproduktes (BIP) wenig beweiskräftig, denn mindestens das langfristige Niveau und die steigende Staatsverschuldung relativieren die angeblichen Erfolge erheblich.

So prognostiziert die Europäische Kommission für Frankreich einen Anstieg der Bruttostaatsschulden um 2,6 Prozent für das aktuelle Jahr, während das BIP-Wachstum wohl nur rund ein Prozent betragen wird. Im Klartext: Paris wird sich in diesem Jahr mit rund 74 Milliarden US-Dollar neu verschulden, während das Wachstum nur rund 30 Milliarden Dollar betragen wird. Wenn Merkel mit »In ganz Europa ist jetzt Wachstum« das weitere Ansteigen der Staatsschulden meint, hat sie jedenfalls uneingeschränkt recht.

Noch deutlicher wird das am Beispiel Italien. Im Mai 2015 erreichte der Bruttostaatsschuldenstand knapp 2,22 Billionen Euro, also rund 137 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im ersten Quartal 2015 wuchs das italienische BIP indes nur um bescheidene 470 Millionen Euro, die Schulden des Gesamtstaates allerdings um gigantische 65 Milliarden Euro. »Handelsblatt«-Kolumnist Wolfram Weimer rechnet vor: »Analysten erwarten, dass inzwischen die Marke von 100 Milliarden Euro Neuschulden fürs laufende Jahr klar überschritten ist. Damit hat Italien in einem Halbjahr mal eben das gesamte neue Rettungspaket für Griechenland auf seinen eigenen Schuldenberg drauf gepackt.«

Und auch in Spanien ist eher Skepsis als Champagnerstimmung angesagt. Bei einem Blick auf die einzelnen Sektoren der spanischen Volkswirtschaft wird schnell deutlich, dass die industriellen Zuwächse fast ausschließlich auf die Kraftfahrzeugproduktion beschränkt sind. Alle anderen Bereiche der spanischen Industrie haben kaum oder keine Zuwächse erzielen können. Und noch immer liegt der Einbruch der spanischen Industrieproduktion von 2007 bis heute bei rund 27 Prozent. Auch das spanische Wachstum reicht nicht, um kurzfristig Schulden abbauen zu können. Bis 2016, so eine Schätzung der EU-Kommission, werden die spanischen Staatsschulden auf über 102 Prozent des BIP anwachsen. Solchen Prognosen liegt dabei immer die ohnehin fragwürdige Annahme zugrunde, dass die Konjunktur weiter zulegt.

Insgesamt schafften alle Länder der Eurozone 2014 nur eine Wachstumsrate von 0,8 Prozent zum Vorjahr. Und das trotz historisch niedriger Zinsen, einer sintflutartigen Geldschwemme durch die Europäische Zentralbank, eines vergleichsweise schwachen Euros, niedriger Energiepreise und obwohl sich die Industrieproduktion vieler Euroländer weit unterhalb ihrer Höchststände befindet, also von einem relativ niedrigen Niveau ausgegangen wird.

Bei solchen einmalig günstigen Bedingungen ein Miniwachstum als großen Erfolg der Wirtschaftspolitik zu verkaufen, ist schon sehr gewagt und als Argument für noch mehr Austerität in Griechenland vollkommen untauglich. Zumal Hellas unter den Krisenländern ein Sonderfall ist. Sollte sich das weltweite konjunkturelle Umfeld - etwa in den USA und China - weiter abschwächen, dürfte es mit dem homöopathischen Wachstum der Eurozone ganz vorbei sein. Zurück bleiben Schuldenberge, zerstörte Industrien und soziale Verheerungen.

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